Schweizer Roadtrip: Ernst, Bach, Gottwald

Nun denn, hier also der Begeisterungssturm zum gestrigen Tage. Viel Raum für Dialektik bleibt da nicht. Ich hoffe also hier nicht nach den Maßstäben einer kühlen Erörterung beurteilt zu werden. Zunächst sei die Fahrt selbst erwähnt. Ein Roadtrip erster Güte mit Steffi und DanDan. Bald alte, bald neue Musik im Ohr auf Riehen (bei Basel) losgeflogen.

Die Welt von Max Ernst und die darin liegenden, wundervollen Abgründe erkundet. Eine beachtliche Sammlung hat die Fondation Beyeler hier zusammen gerufen. Viele Exponate aus privater Hand, eine Ausstellung, die man also weder so noch überhaupt unbedingt alle Tage zu sehen bekommt. “Die Menschen sollen nichts davon wissen”. Allein da könnte ich den ganzen Tag davor verbringen, ganz zu schweigen von der “ganzen Stadt”. Der Blick in der Nähe vereint Zivilisationserklärung und -kritik. Die Schlachten kurz unter den stillen Krönungen, alles getragen von einem Wunsch, mitten in die Erde gebettet zu sein—und drängt dabei wie Schichten von Waldboden nach oben—das Waldthema ist ohnehin auch sehr ausführlich beleuchtet worden. Nicht einmal die Drachen fehlen. Da lässt sich viel verbinden, was vorher nur lose im Kopf herum lag. Aber dies alles nur exemplarisch.

Nach einem Kaffe in einem recht urig-witzigen riehener Café: auf nach Zürich. In einer ganz lebendingen Vorfreude. Zu Zürich selbst diesmal nur soviel: Dass DanDan den Stadtverkehr nervlich überlebt hat, grenzt an ein Wunder und macht ihn auf dieser Fahrt ganz eindeutig zum Helden der Geschichte (Helden gehen bekanntlich “in die Geschichte ein”, hab ich mir mal unfreiwillig anhören müssen).

Im Publikum selbst lernen wir eine sehr charmanten und uns in Sachen Begeisterung für den Abend kaum nachstehenden holländischen Vermögensverwalter kennen. Ein Bankier der zurückhaltend-gebildeten Bauart, von denen am Stammtisch immer behauptet wird, es gäbe sie gar nicht mehr. Wir haben viel gelacht und ihn auf Anhieb sehr gemocht. Die Tonhalle ist auf jedenfall einer der schönen Aufführungsorte, zwar sehr beladen aber damit auch ganz klar erhaben. Über allem lassen die Schweizer hier Mozart, Haydn, Schumann und Beethoven wachen, eine halb wilde und halb gesittete Mischung, wie ich meinen will.

Im Programm treffen wir auf ein Bachprogramm. Und auf eine Neuigkeit von vorn herein. Das Chorstück “Cantos Sagrados” von James MacMillen war großartig interpretiert von der Zürcher Sing-Akademie und auch sehr feinfühlig geleitet. Das Stück selbst war zwar sehr behutsam konstruiert, ohne allzu viel Effektsequenziererei und ließ auch auf Anhieb eine ganze Reihe von sehr interessanten komplexen zeichen erkennen. Dennoch war es mir etwas zu leer, etwas zu frei von Tiefe, was dann auch die wirklich großartige Interpretation nicht mehr gänzlich auszugleichen vermochte.

Die Sinfonia aus BWV 209 kommt noch etwas sperrig daher, was bei Ton Koopman eigentlich verwundert. Wenngleich die wundervolle Sabine Poyé Morel mit der Holzflöte keine Bewegung, keinen kleinen Impuls scheut, Herrn Koopman (Dirigent) einen Tick inspirierter bei der Hand zu nehmen—es hätte ihm (und der Musik sowieso) gut bekommen, wenn er sich auf dieses nur eine kleine Nuance zu zaghaft implementierte “unmoralische Angebot” etwas mehr eingelassen hätte.

Die Kreuzstabkantate zeigt ohnehin Leid und Leuterung auf eine sehr persönliche Weise, exemplarisch. Die in die Musik im Grunde bereits vorgezeichnete Leichtigkeit (“Da leg ich den Kummer auf einmal ins Grab”) wurde von einer leichten Interpretation getragen. Klaus Mertens und Ton Koopman routiniert Hand in Hand. So rauscht uns “Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder” auch nicht romantisch um (eines der wenigen barocken Stücke, wo man das glaub ich trotzdem einfach des Affekts halber irgendwie dürfen sollen dürfte, weil’s soviel Spaß macht, auch wenn’s historisch nicht ganz korrekt ist). Die ganze Kantate und damit auch ihr Schluss kommen leicht daher, wie ein bereits vollzogener Abschied. Was durchaus mehr als passt. Aber Hubert von Goiserns mystisch-romantische Orgelraserei kann darin dann natürlich keinen Platz finden.

Pause. Guter Wein (wir sind ja in der Schweiz). Dann Grinsen: Die Kantate “Auf, schmetternde Töne der muntern Trompeten” wird von einem Spielmannszug eröffnet, die Bläser marschieren ein, die Sänger im Schlepptau. Die Kantate ist ja fröhlich, fürwahr. So ist sie geschrieben. Bach kriecht praktisch dem August von Sachsen bis zum Anschlag… Und genau da wird sie auch ein wenig traurig, nie offen, aber auf der Metaebene. Sie kommentiert im Pomp, was die Musik, deren Erfüllung in Reinform man ja Bach bisweilen nachsagt, auch so alles macht um sich selbst ein Momentum sein zu dürfen. Impulserhaltung, Überlebenserhaltung. Und das alles trifft uns nicht wegen eines inszenierten Bruchs. Da jubeln die Musiker so frei über den König von Sachsen, dass sich nur im Kopf die Frage einschleicht: “warum tun die das?” Natürlich, weil’s da so steht. Dennoch: gäbe ja auch noch andere Bach-Kantaten. Und dieser Bruch gelingt, ganz ohne allzu massiven V-Effekt, dennoch spürbar, nie im Vorwurf, nur ganz subtil. Ein bereichernder, über den Abend hinausweisender Denkanstoß. Ich liebe sowas.

Dass wir dann auch noch Franziska erleben durften, war natürlich die Krönung und gleichzeitig der ursprüngliche Impuls zu kommen. Es ist einfach unglaublich, wie ein Mensch in so unmittelbarer Bewegung in so vielfältigen Anlässen und mit einer solch scheinbaren (!) menschlichen Leichtigkeit, einen nachhaltig und wieder kehrend so tief berühren kann. Auf eine Art etwas hervorzubringen, das auf jeden Fall über das alltäglich Erlebbare hinausweist, so dass es gelingt Musik im Eigentlichen erscheinen zu lassen. Immer wieder. Und immer wieder unwahrscheinlich schön. Eine Objektivität wird mir hierbei und aus genannten Gründen nicht mehr hervor gehen.

Was für ein Tag!

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Datum: Samstag, 1. Juni 2013 11:20
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