Auf dem Weg nach Kiel, Teil 2

Zum einen muss ich hier endlich noch einen sinnlosen Pseudo-Anglizismus in den Rahmen schottern. Erstens weil er passt, zweitens, weil’s scheinbar noch nie außer Mode war und drittens, damit “Prokrastination” endlich nicht mehr der Spitzenreiter  des Unsinns ist. Ist doch wahr!

Der Sonnenuntergang über dem Meer war also gorgös! Bitte, ich möchte das jetzt nicht auch noch kommentieren müssen. Weil nicht Sonntag ist, bekomme ich sowieso eine dafür rein. Bumms. In Ermangelung vorhandener Scharfrichter/innen, die das in meinem Interesse lieber unternommen hätten. Alle Ästhetik hat sowie die Sonne für sich beansprucht. Schluss nun. Man wies mir einen Tisch zu. Zum Gebrauch des Buffets, mehr noch: des nachgeschalteten Vorgangs halbwegs kontrollierter Nahrungsaufnahme. Direkt neben einem Klavierspierler, der zunächst scheinbar nur zu unfertig und zu leicht mit Talent ausgestattet zu sein schien. Es stellte sich jedoch heraus, dass er aus gutem Grund keine Lust hatte, die Leute mit seichtem, ungepfeffertem Brei klanglicher Natur lautlich zu bespeisen. Als er jedoch auch nur merkte, dass maximal zwei Leute sonst noch im Raum waren, die sich für etwas Musik durchaus begeistern könnten, hat er zwischendurch etwas losgelegt. Ganz offensichtlich nur im Rahmen seines Vertrages, aber dann stets mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Eigentlich wollte ich dem armen Gequälten einen ausgeben. Doch der darf das nicht. Morgens früh müssen alle immer zum Alkoholtest antreten. Sagt jedenfalls einer der Kellner. Sonst flögen sie raus. Dennoch gehört das Personal hier zum gutgelauntesten, was auf dem Schiff herumläuft.

Die nebeneinander herlaufenden Skripte, wohl weitestgehend nach Nationalität getrennt, führen beide nicht zum Erfolg. Sie nebeneinander her existieren zu sehen, bereitet eine voyeuristische Freude: Die Norweger (also die bis 45 etwa) sind ab 21 Uhr komplett besoffen. Der Alkohol ist, ach, sagen wir mal jetzt lieber nicht “billig” (denn das wäre falsch), aber deutlich günstiger als in Norwegen. Alsdann hängen sie im Ausschnitt der über diesen Tatbestand nur oberflächlich pikierten deutschen Ehefrauen. Die Männer sehen dabei gelangweilt zu. Manch ein Deutscher rümpft die Nase. Insgeheim wohl an den eigenen, gut geplanten Ausbruch erinnernd, der, auch das weiß man, niemals stattfinden wird.

Zum Erfolg führt, wie bereits erwähnt, beides nicht. Und so hören wir den Club der einsamen Herzen und den treuen alten Sergeanten, irgendwo sogar fast Orignal-Ähnlich. Aber natürlich weichgespült und verklimperchromt. Und, keinen wundert’s so richtig, der Lagerkoller, er ersäuft auf der einen Seite und verstaubt jämmerlich auf der anderen.

Das ist also das altbekannte Bild, eingängig und einschlägig bekannt von den Dorfdiskos bis hin zu den angesagten Clubs der Metropolen. Skripte, die auf frische stets jugendlich naive Art und an Orten äußerster und eleganter Berechnung der Untiefen der menschlichen Natur zum Mißerfolg führen. Offenbar mit einer Menge Hoffnung zwischendrin. Hat man doch vorher noch unter Aufwand des mühsam—nagut von Norweger Seite wohl weniger mühsam—Ersparten, alle Devotionalien aus Aphroditens (wahlweise Freyas) Garten zusammengebastelt: Wieder nichts. Einfach wärs. Ist der Mensch auch ein Rudeltier, so ist er doch im Rudel ein einsamer Wolf. Und das soll das erfolgreichste Raubtier der Welt sein? Da lachen ja, naja wohl eher nicht, die Hühner drüber. Nach dem guten Buffet wahlweise, Verzeihung, wahlfrei auch drunter… also, sie lachen drunter, weil sie ja und… ach, man darf sowas nicht erklären, sonst gibt’s nur wieder noch mehr verdiente Haue!

Da bleibt mir nur ein arrogantes Zurücklehnen, über das ich bevor’s richtig vorbei ist schon wieder selbst lachen muss, und ein Zitat von Clara, das insbesondere in seiner kontextfreien Variante eines der mächtigsten ist, die meinem Kopf je im Gedächtnis bleiben durften:

“Die armen Menschen!” (Barth, 2009)

Ich selbst spiele einen kindlichen Auszählreim, als wüsste ich nicht, dass die durch zwei teilbaren Varianten der aggresiv-gutmütigen und falsche Fairness vorgaukelnden Schüttler, stets immer wieder die gleiche Entscheidung hervorbringen. Der Inhalt und trockene Ausgang ist der geneigten Leserin sicher bereits seit meinem Hotelbericht aus Oslo bekannt. Man gibt sein Bestes für die Träume neben den Träumen. Man könnte auch sagen: die Träume nebenan.

Allmählich begebe ich mich mal an meine Hausaufgaben—sets und in guter alter Tradition zu allerletzt—und setze mich dazu in das faktische Nebenbett neben dem Bett. Es ist inzwischen selbstverständlich dunkel geworden.

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Datum: Donnerstag, 22. April 2010 23:30
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