Hase, Schlange, Stier und der Monte Dingsda

Sardinienerfahrene werden jetzt mindestens schmunzeln: Versuchen Sie niemals spät abends von Olbia (Norden) aus in den Süden zu fahren. Unser Reisebüro hatte uns das wegen eines günstigeren Fluges empfohlen. Nachdem wir gegen 21.30 im Auto saßen und uns die Karte zum ersten Mal genauer vor Augen führten, erreichte uns das erste Mal ein Fragezeichen. Nicht ganz zu unrecht. Meine Frau ist eine begnadete Fahrerin. Diesem Umstand und ihren Nerven haben wir es zu verdanken, überhaupt noch um 3.30 an der Costa Rei einzutreffen und sogar das kleine Häuschen zu finden, dasselbe wir anzumieten das Vergnügen hatten. Lassen Sie sich des weiteren nicht von der Karte dazu verführen, die Küste entlang zu fahren. Nicht nur, dass Sie dann über tausend Höhenmeter in unsäglichen Serpentinen zu überwinden haben, die selbst Schwarzwaldaufgewachsene Kurvenbrecher, wie wir es sind, gastrotechnisch zu Fall bringen, auch wenn Sie etwa auf eine vage Beschilderung hoffen, werden Sie vermutlich ebenso wenig Glück haben, wie wir. Nun ist diese Strecke (die Straße Nr. 125) bei Tageslicht vielleicht sogar ein Augenschmaus unendlicher Inselpracht, bei Nacht läßt sich jedoch nur schemenhaft die eine oder andere beleuchtete Siedlung aus der Ferne beobachten. Durch Orosei und Dorgali dürfen Sie auf der gegebenen Strecke auch hindurchfahren, ebenso durch Tortoli. So manche Kreuzung läßt einen den Verbleib der Straße 125 zu erahnen. Viele Orte haben indes gar keinen Namen und heißen nur “locationà” oder kurz “loc.”. Schwer, diese auf der Karte auszumachen und zu entscheiden, wo man sich wohl gerade befindet. Den schwerbehörnten Stier zu fragen, der sich einem auf der Straße in vollem Testosteron entgegenstellte, wäre wahrscheinlich schon allein aufgrund der unterschiedlichen sprachlichen Gewohnheiten keine allzu fruchttagende Idee gewesen. Auch die sich windende Schlange wollte sich lieber ihrer verdutzten Unsicherheit hingeben: “Ein Auto? Hier? Um diese Zeit? Ich muss wohl träumen!” Der Hase, der unserem fahrend-nächtlichen Ungeheuer begegnete versuchte uns gut einen halben Kilometer lang die kunstvollsten Haken zu schlagen. Ohne jedoch zu begreifen, dass wir diesem grauen Warm der Straße mit langweiligster Konsequenz folgen würden. Irgendwann gab er auf—warf sich nicht etwa vors Auto—sondern grummelte sich beleidigt zurück ins straßennahe Buschwerk. Auch her hatte hernach bestimmt Fragen, die sich von seinem Alltag in irgend einer seltsamen Art unterschieden, war doch das Konzept Tourist kaum in seinem Wissenstand auszumachen.

Als wir uns dann schon beinahe am Ziel wähnten und auf experimentelle Art erfuhren, dass unsere Karte eines eher bekannten Reiseführerherstellers nicht so ganz die sardische Realität abzubilden wusste, standen wir dann uns wann schon mal vor dem Strand, der aber, obschon wir ihm sonst eher zugetan sind, zu dieser Tages- und Reisezeit nicht völlig zu unseren primären Zielen zählte. Einige unbenannte Ortschaften später hatten wir zwar immer noch keine besseren mentalen Karten, aber unerwartet Hilfe von einem noch mit seiner Freundin herumfahrenden Einheimischen bekommen. Der versuchte zunächst uns etwas über den Weg zu verraten, den wir noch vor uns hatten, fuhr uns dann aber voraus, als er merkte, dass unsere gemeinsame Konzentration kein Behalten von mehr als zwei Stationen von Links-Rechts-Konfigurationen zuließ. Wir hatten ihm gesagt, wir möchten nach “Monte Nai”, so wie es der Reiseverantalter uns empfahl und unsere Karte uns fälschlicherweise Eindeutigkeit suggerierte. Unserer lange aufrecht erhaltenes Modell brach jäh in sich zusammen, als wir die Frage hörten: “Welchen Monte Nai wir denn da so meinten?”. Es gab wohl mehrere. Vielleicht gibt es eine Ursprache des schönen Landes in der “Nai” so etwas wie “Dingsda” bedeutet. Wir sind dem jedoch nicht mehr auf den Grund gegangen.

Wir hätten vermutlich bereits weit früher aufgegeben, wäre da nicht die unglaubliche sardische Gastfreundschaft. Die Dame von der Hausagentur “nett” zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie blieb per Handy-Kontakt bis 2.30 Uhr bei uns, obwohl Ihr Arbeitstag stets um 8.00 Uhr zu beginnen droht; und fertigte dann auch noch Karte und eine örtliche Beschilderung (“Fam. Pirnay”) bis zum Haus an. Sie entschuldigte sich am nächsten Tag trotzdem, dass sie nicht mehr wach bleiben konnte. Herzlich willkommen auf Sardinien.

Sardinien Strand

Über all diese glücklichen Umstände erhebt sich die Willenskraft und das Durchaltevermögen meiner Frau. Damit hat sie uns sicher zum Ziel gebracht—wieder einmal.

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Datum: Montag, 17. Oktober 2005 8:53
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