In Uniform Grünkram kaufen gehen?

Okay, die Zeit, da jedes in braunes Papier geschobene Artefakt aus dem 10 Kilometer entfernten Ökoladen nachweislich gleich geschmeckt hat (nämlich gar nicht), diese Zeit ist offenbar wirklich vorbei. Aber lange ist das noch nicht her. Mit Grauen erinnere ich mich an so manch komplett ungenießbaren Grünkernbratling. Auch die “Vegetarian Balls With Nuts” (!!) in einschlägig bekannten und nach ehemaligen Bundespräsidenten benannten Häusern, die gelegentlich eine wissenschaftliche Tagung beherbergen, wollen sich nicht so schnell wieder aus dem Langzeitgedächtnis entfernen lassen. Aber inmitten der inzwischen etwas bunter gewordenen Vielfalt entdecke ich gelegentlich so manchen Genuss, den es früher (jaja!) nicht gab.

Leider ist das Beschaffen gelegentlicher Köstlichkeiten nicht nur teuer, sondern auch mit kulturell mir nicht zugänglichen Ritualen anderer Art verbunden. Wenn man als nicht uniformierter Mensch selbige Hallen betritt—und seien sie des Ortes wegen noch so urban verankert—wird man in etwa so betrachtet, als hätte man sich als Zwölfjähriger gerade beim Stehlen eines Weichpornos (wahlweise auch eines ersatzweise berühmten Mode-Katalogs) erwischen lassen.

Ich stelle mir also zwei Fragen:

Muss ich mir eine selbst gehäkelte, viel- und grässlichfarbige Wollmütze anziehen, dazu einen alten rosa Mantel, grüne Socken und ne Cordhose aus dem 18. Jahrhundert (die natürlich nur so aussieht und neu ist und 200 Euro auf der Soll-Seite des Kontos auslöst), sehr sehr verbittert dreinschauen und obendrein danach aussehen, als ob ich gleich an massiv qualitativer Unterernährung zugrunde gehe?

Oder—und das ist hier die Krux:

Werde ich auch so, wenn ich hier öfter zum Konsumenten werde?

Dass ich die letzte Frage nicht vollständig ausschließen kann, das macht mir gelegentlich ein wenig (hinreichend!) Sorgen. Leider bin ich bekanntermaßen ein lustbetonter Mensch, ein Hedonist beinahe, so dass ich ca. einmal im Monat alle Hemmungen verliere und trotz der hingebungsvoll-passiven Anfeindungen einen solchen Laden betrete. Aber ich habe noch kein Kostüm, das mich geeignet uniformieren würde. Und derzeit beabsichtige ich nicht, mir ein solches zuzulegen. Die Anschaffungskosten sind zu hoch und die allgemeine Verwendbarkeit viel zu eingeschränkt. Dazu bin ich, wie eben beschrieben, auch im echten Leben zu lustbetont. Wir wissen natürlich dem zu trotz, was eine Umfrage zur Akzeptanz von Uniformen unter dem hier gängigen Klientel für Stürme der Entrüstung auslösen würde. Wenn sie sich als geschmacklich und ästhetisch nicht herausgeforderte Person (not aesthetically challanged) dort einmal umsehen, wissen Sie von was ich rede.

Warum riecht es eigentlich in allen, ich meine: in allen diesen Läden exakt gleich? Widerspricht das nicht irgendwie der in der Natur üblichen Vielfalt? Muss es da so riechen, damit das Stammklientel kommt, ja, angelockt wird? Ach, es bleiben so viele Fragen. Wenn jemand (ungehäkelte) Marktanalysen kennt, die auch nur eine davon beantworten können, würde ich mich über kurze Rückmeldung freuen.

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Datum: Dienstag, 27. Februar 2007 21:19
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Ein Kommentar

  1. 1

    Marktanalysen habe ich keine, aber zum Geruch: das ist wahrscheinlich das billigste vom immer gleichen Großhandelsmonopolisten angebotene Putzmittel, dass sie aus ideologischen Gründen den wirksamen vorziehen. Um mal eine der unendlich vielen möglichen post hoc Hypothesen aufgestellt zu haben.

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