Beiträge vom November, 2010

Kesselsaal

Dienstag, 30. November 2010 20:42

In Weimar wohnen hat so manch kulturelle Vorzüge. Das deutsche Nationaltheater zum Beispiel. Das ist alles insgesamt schon anders als in Freiburg. Dafür muss man hinnehmen, dass es das Goethe-Klo, den Goethe-Abfalleimer, und überhaupt die original Goethe-Straßenlaterne gibt. Achja, der Schiller war auch noch da. Der ist mir persönlich zwar sowieso aus ziemlich vielen Gründen der Liebere, aber vor dem Theater stehen sie ja denn vereint, die alten Männerfreunde und eben hierzulande Modellstifter für eben solche Freundschaften—obschon der Friedrich ja so einiges dafür tun musste. An Goethe hat mich eigentlich hauptsächlich seine verständliche Faszination für Shakespeare angesprochen. Das ist natürlich für eine veritable Heldenverehrung deutlich zu wenig. Und ins Haupthaus habe ich es sowieso noch gar nicht geschafft bislang. Wenn ich mal die Gelegenheit hatte, war das E-Werk mit einem zeitgenössischen Angebot immer inhaltlich für mich die erste Wahl.

E-Werk, Weimar, Kesselsaal

Allein der Ort übt eine fast magische Anziehungkraft aus. Die Kessen und Schaltwerke, die sich hier zu einem neuen Kontext für neust (?) Erdachtes arrangieren—als wär’s schon immer so geplant gewesen—und die Ideen, die sie hervorbringen und stützen sind eine große Freude. Vom Kluck-Labor habe ich so die ersten beiden Teile schon gesehen. Ich hoffe, dass ich mir die anderen auch ansehen darf, zeitlich gesehen. Nie hatte ich einen so ungefilterten, harten und zugleich sehr humorvollen Einblicke in neuste Geschichte, geschweige denn—man siehe, wo sich Freiburg geografisch etwa befindet—in die Geschichte Mitteldeutschlands. Wie ein Schwamm fühl ich mich da. Und muss so manches komplett neu denken, was widerum ein Umstand ist, den ich sehr schätze.

E-Werk, Blau & Rot
Man sieht im obigen Bild, dass man im E-Werk nicht unbedingt immer Schwarz-Weiß malt. Dafür aber farbig, und zwar.

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Schweigen der Stille

Donnerstag, 25. November 2010 11:21

Es war ungewohnt still geworden im Seilerhaus. Viele Menschen waren nicht da. Der Seiler war krank geworden, und das hatte seinen Einfluss. Die Seile waren dann ungewohnt trocken und konnten insgesamt für nur sehr wenige Aufgaben verwendet werden. Aber es kamen eben immer noch aus dem Haus des Seilers. Und das war nicht irgendwas. Selbst in dieser kaum verwendbaren Güte waren sie immer noch besser als so manch’ andere Alternativen. Die Räume scheinen heute größer. Vielleicht, weil niemand da ist—obschon sie ja kleiner als heute erscheinen. Selbst wenn jemand in einem anderen Raum ist und ich im Grunde doch gelegentlich allein in einem Raum bin. Das sind selstame metaphysische Unterschiede. Die Wirkung der Raumgrößen ist abhängig von der gewähnten Nähe unsichtbarer Gesellschaften, jener Ansammlungen von Personen von vielfach verschiedenen definierter Funktion. Hätte ich Gelegenheit dazu, dann würde mir jetzt ein wenig übel werden. Eigentlich ist der permanente Käsegeruch aus den Abstreifungen der Seile außerhalb von diesem Ort sicher kaum zu ertragen. Hier gehört er irgendwie dazu. Der Ort wäre fade ohne den Geruch. Und natürlich färbt er auch alle anderen vielfachen Gerüche, sobald Menschen da sind. Mehr noch: Er bestimmt auch, mit welchen Gerüchen die Menschen sind einkleiden. Die meisten der hier sonst anwesenden, sind Düften und Gerüchen gegenüber sehr aufgeschlossen. Das ist ein unsichtbares, raumfüllendes Moment. Es fehlt nun. Die trockenen Seile, die mich traurig an die Krankheit des Seilers erinnern, der Käsegeruch alleine und das Fernbleiben der gewohnten und eben auf das ganze Seilerhaus und seine verschrobenen Insassen zurechtkomponierten Düfte. Für den Moment scheint mir das als erklärende Ursache genug für die Wirkung der größeren Räume. Ich drehe mich kaum zehn Grad nach links, tippe zweimal mit der Schuhspitze, Blick an die Decke und an den Boden. Dem Raum allein fehlt es an Eleganz, wie ich meine. Er birgt zwar ein Stück zu Hause in dem komplexen Geflecht, das seine Erscheinung und meine inzwischen zahlreichen Erinnerungen bieten, aber er ist doch nicht wirklich zu Hause.

So, als käme man nach Jahren einmal in das die Wohnung oder das Haus zurück, das man zu Kindertagen einmal intensiv bewohnt hatte und dem man eine zeitlang irgendwie traurig hinterhergeträumt hat. Ich warte ab, ob mir der Raum nicht einfach so eine Geschichte erzählt. Als eigentlicher Hintergrund, die spannende Bewegung der Kulisse. So, wie in dem Film Koyaanisqatsi etwa. Aber ich habe keinen menschlichen Zeitraffer eingebaut. Oder besser: der ist invers aktiv. Wenn viel passiert, dann ist der an. Wenn wenig passiert, dann gilt die Zeitlupe. Also lausche ich den ehrwürdig langsamen Bewegungen, dem Atmen von Objekten. Es vergeht sehr viel gefühlte Zeit. Die Muster sind kaum erkennbar. Mir scheint aber, als entdecke ich in dieser langsamen Bewegung einen Impuls, gerade zu wenig, um ein echtes Muster zu sein. Für heute soll meine Erklärung ausreichen, dass Personen (per sona, und so weiter) diesem Impuls etwas entgegen setzen müssen, um ihrerseits substantiell etwas davon mitzunehmen. Ich habe eine ganz einfache und sehr oberflächlich erscheinende Interaktion zwischen dem Raum und der Person entdeckt. Ein Grundprinzip der Resonanz. Der Klang (per sona) breitet sich nicht ohne einen Körper aus, genauer: nicht ohne einen Hohlraum. Und dieser Resonanzkörper hat es in sich, hat wie bei einem expertisereich gespielten und geliebten Instrument ein so bewundernswertes Eigenleben, das es mir schwerfällt den Klang (per sona) vom Raum (locatio) zu trennen. Ich habe also mit offenen Augen, Ohren und Nase, frei in den Raum hinein-halluziniert. Das Seilerhaus hat sich mit einer Erkenntnis bedankt, die mir ohne seine Intensität zu schwach zum Bemerken und zu vage zum Begreifen gewesen wäre. Ob der Raum selbst oder meine Erinnerungen der Umgebung diesen Ausdruck verliehen haben, verschließt sich meinem Verstand. Meine Intuition möchte das mal so herum, mal anders herum interpretiert wissen. Je nach Laune: Ganz Intuition eben.

So stehe ich hier frei, und werde doch von meinem aufkeimenden Bedürfnis nach deutlich weniger subtilen Impulsen gefesselt. Der Raum bindet mich durch meine Erwartung, die er für mich erfüllen soll, und der er an sich nicht entsprechen kann. Wären auch nur zwei von uns hier drin, so wäre die Komplexität schon nicht zu überbieten. Mir ist nach dem Rausch der Überraschung, nach den betrunkenen Momenten der Erfüllung von vorsichtshalber nicht Erwartetem. Mir ist nach Brüchen in der Moral, nach Illegalität vor dem Hintergrund von Konventionen. Ich möchte mich darin wälzen, meine Moral darüber nicht zu erschüttern. Orte können derartige Paradoxien auf wundervolle Art und Weise versprechen. Und das Seilerhaus kann das ganz besonders gut. Ich stehe also erstaunt und gefesselt, ohne je gebunden zu sein, in einem Raum voller drittklassiger Seile, deren Wert immer noch hoch genug ist, so dass man sich keine Sorgen machen muss. Bräche doch eine Bedrohung der Stille über mich her. Dann taucht aus der Stille plötzlich eine Bedrohung auf. Genauer: Die Stille ist die Drohgebärde des lebendigen Raums. Und Person, die ich nunmal bin, erkunde ich das als Wunsch des Raums: Schreie, Bewege, Befülle mich mit lauter verrückkten Absurditäten. Und ich bürde dem Raum das Versprechen auf, dass dieses Tun die Stille für kurze Momente zum schweigen bringt. Der Seiler ist krank, aber ich weiß nicht wo er ist. Und selbst, wenn ich das wüsste, dann könnte ich ihm nicht helfen. Er wird auf die eine oder andere Art gesund werden und dann wieder seine erstklassigen Seile anfertigen. Hier werden dann wie immer viele Menschen sein, die ihm auf die eine oder andere Art dabei helfen, den Raum mit kleinen, schönen Störungen durchziehen oder etwas anderes tun, um der Stille eben dieses kurze Schweigen abzuringen.

Thema: Seilerhaus, Staunen und Zweifeln, Worte | Kommentare (0) | Autor:

Deckenlicht

Sonntag, 21. November 2010 23:14

Den Sonntag in vollen Zügen genießen, davon handelte einst ein Witz, der wie alle Witze im Grunde überhaupt nicht witzig war und nicht nur deswegen hier vermieden werden soll. Jedenfalls sind mir sehr wenige Witze bekannt, die an sich witzig sind. Selten kann jemand welche erzählen, und ich habe den Eindruck, dass der Humor dann doch außerhalb der symbolisch enkodierten Information mitsamt der berühmten scherzhaften Überraschung zu finden ist: Ja, das ist die Pointe, ohne die’s schnwierig wird, außer man heißt zufällig Badesalz und kann die Werke zur Besonderheit erheben, weil sie eben keine Pointe haben—obwohl das natürlich nicht stimmt: Sie ist dann nur woanders zu finden als üblicherweise am Schluss.

Zurück in den Zug. Verspätung hat die Verbindung ja ohnedies jedesmal, mit bislang nur einer einzigen Ausnahme. In Gotha noch nen Triebwagenschaden. Aber am Sonntag abend sitzen Pendler im Zug, und die nehmen’s gelassen hin. Außer die junge Dame, die im Ruhebereich des ICE in ihr Handy brüllt, um ihrem Vater zu erklären, was sie gestern alles zum Geburtstag bekommen hat. Geld, Jelly Beans (die große Tüte), von Christian eine Kette (die ist echt wirklich schön), ein Armband, von Tante Dorothy Geld zum Führerschein und von Oma auch, und überhaupt hat sie ja schon mit Oma telefoniert, und die Mischgetränke hat sie in den Keller geräumt—glaubt sie, sicher ist sie nicht mehr—damit ihre Mama nicht alles in den Keller tragen muss. Das wird dann 5x erwähnt. Ist offenbar selten. Sie bedankt sich für den Laptop, den die Eltern geschenkt haben. Irgendjemand (vermutlich der Bruder) hat nicht angerufen. Er könnte ja wenigstens anrufen. Dann erzählt sie alles nochmal ihrer Mama. Die gleiche Geschichte. Genauso laut. Auch von der anderen Seite brüllt es derart laut, dass man sich dabei ertappt, bei der Dame nach einen Hörgerät zu suchen—aber dann hätte sie das Problem ja nicht. Die Dame, die neben mir sitzt ist nett, hat offenbar einen guten Musikgeschmack, fährt noch weiter im Zug, aber fängt dann an Twilight zu gucken. Großes Minus. Enormes Minus. Nunja, andere Generation.

Die Pendler kennen das auch schon. Natürlich in wechselnder Besetzung. Aber immer wieder exakt gleich. Man erkennt sich sogar untereinander. Vielleicht an der Gelassenheit. Ich fahre zurück von der Zukunft-W Klausurtagung, mit Infotag und Abschlusskonferenz, wo mir dann als Dankeschön schöne Rosen von einer noch schöneren Frau überreicht wurden. Rosen hätten an dem Tag eigentlich alle verdient. Das Projekt ist nur dank unglaublicher Hingabe der Arbeitsgruppe so gut geworden. Da das so selten ist, kann es nicht genug hervorgehoben werden. Vielleicht in der Hoffnung, es möge auch andernorts anders werden.

Morgen ist Vorlesung, und noch ist der Dropout gemessen an Vorlesungen im Allgemeinen recht gering. Ich hoffe natürlich, mir jetzt straffrei einbilden zu dürfen, dass das wenigstens im Ansatz irgendwo, irgendwie etwas mit mir zu tun hat—oder sagen wir besser: damit, was ich da umsetze. Ich bin jedenfalls überrascht und im Nachhinein noch etwas mehr beeindruckt, wie viel Arbeit so eine Vorlesung in Wirklichkeit ist. Ich möchte mich im Nachhinein in aller Form bei meinen früheren Professorinnen und Professoren entschuldigen, denen ich in solchen Veranstaltungen gelegentlich das eine oder andere seltsam (um nicht zu sagen: übel) genommen habe: Ich hatte ja keine Ahnung! Hin und wieder, wenn der letzte Rest Kreativität verschwunden ist, dann starre ich an die Decke.

An der Decke öffentlicher Verkehrsmittel, zwei Perspektiven

Dort sehe ich nicht selten die Deckenbeleuchtung eines öffentlichen Fahrzeugs. So wie ich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, unterwegs bin. Der Zustand, nicht da zu sein, hätte wohl seine Vorzüge, wenn mein Anschlussmotiv nicht so sehr ausgeprägt wäre. Ein wenig mehr Machtmotiv wäre vor dem Hintergrund, wenn auch nicht geistig gesund, dann aber doch wenigstens karrierefördernd. Ich will mal sagen: Ich arbeite zum Teil absichtsvoll nicht an diesem Teil meiner Persönlichkeit. Mal sehen, wo mich das hinführt.

Thema: Alltag, Hochschullehre, Reise | Kommentare (0) | Autor:

Hätte doch nur symbolisch sein sollen

Dienstag, 2. November 2010 17:09

Irgendwo zwischen den Systemtheoretikern gefangen. Nichts, quasi. Eat this, Welt, und nimm die Symbole hin—wenn auch nicht nur symbolisch. Ich frag’ mich dann, wem das was helfen soll. Ertappe mich bei Antworten, aber die sind anders. Mithin kommt mir das Gequatsche hin und wieder unglaublich ästhetisch vor. Dann frage ich mich, ob die Dinge so sind, weil ich sie so will. Ob ich auch gerade auf dem besten Weg zum Solipsisten bin. Das sei zu vermeiden durch eine gesteigerte Dosis Realität. Ich müsste dazu wohl mal wieder in die Staaten fahren, mir Klimaanlagen ansehen, die Toiletten kühlen, die widerum kleiner sind als die Klimaanlagen. Ich möchte nicht so weit gehen zu interpretieren, dass man viel Energie ausgibt für… Aber das wäre natürlich eine Metapher, die mir viele gerne, d.h. mit Freude, aus der Hand nehmen. Meine Studierenden haben mir vorgeschlagen, dass man sich einmal gemeinsam einen Hells Angel, der Mitglied bei Jehovas Zeugen ist, vorstelle. Als Übereinkunft von Lebensräumen. Wir kamen in dem Zusammenhang natürlich auf Stereotype zu sprechen. Die sind selbstverständlich ebenfalls sozialisiert. Was mich dabei gerade besonders sozialisiert? Da kommt dann wieder “das System” angerollt, überrollt einen irgendwie. Symbolisch ist ja vor allem die “Hätte” des Homo Bürokratikus nicht antastbar. Und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jetzt aber kein Stereotyp.

Thema: Staunen und Zweifeln | Kommentare (0) | Autor: