Beiträge vom Juni, 2012

Rinaldo in Freiburg

Sonntag, 17. Juni 2012 10:14

Für die eiligen Leserinnen und leser: geht einfach hin. Es lohnt sich vielfach.

Gestern hatte Händels Rinaldo in Freiburg Premiere und hat vor allem mit seiner Inszenierung mehr als positiv überrascht. Man sieht gerade darum nach wie vor ein Stück der Tugend, weil es die Tugend als willkommenes Instrument entlarvt. Den Freiburgern gelingt es, das Stück um 180 Grad zu drehen. Und jede Minute davon ist ein Genuss, ein sarkastischer fürwahr, und bei der Gelegenheit ein reichlich willkommener.

Rinaldo tut das, was ein Christ nun tun muss: er leidet anständig vor sich hin. Drei Akte lang, kurz ist sein Glück, das auch eigentlich keines ist—wer will schon wirklich Almirena haben (großartig herausgearbeitet von Aleksandra Zomojska). Ansonsten liegt Rinaldo zerfetzt, durchbohrt, aufbäumend, dämmernd oder gar ganz weg getreten, während die Herrschaften sich verlustieren und sich genüsslich über die Tugend und das Opfer auslassen, das ein jeder nunmal für sein Glück zu bringen habe. Zu allererst Goffredo, der von Ehre schwallt, ohne selbst welche zu haben oder sie sonderlich zu vermissen. Steigt mal eben über Kinderleichen, die er gerade noch als Furien bekämpfen ließ und singt feierlich von der Tugend. Er ist ein wundervoller Vertreter der Bigotterie und der Gelegenheitsmoral, mit dem ebenso ein ganzer gefühlter Chor des Pathos einherschreitet.

Im ersten Akt fragt man sich noch, was Rinaldo da wohl eigentlich von der Almirena will. Er liebt sie halt irgendwie. Aber warum eigentlich? Es kann ja kaum für ihre herausragenden Eigenschaften und Charakterzüge sein, von denen sie reichlich vermissen lässt. Und so richtig begehren wird er sie die kommenden drei Akte auch nicht wirklich. Dennoch kauft man ihm ab, dass er liebt. Ihr nicht, und zwar gerade weil sie’s so blumig zum Ausdruck bringt. Sie steht nur orientierungslos in “irgendwelchen” Kriegswirrungen rum, liebt es schonmal Hochzeitskleider auszuprobieren und ist ansonsten, das was man da von ihr erwarten will: in der Inszenierung auffallend kalt und herzlos—unglaublich gut gezeichnet. Gleich am Anfang sieht man sie mit Goffredo fröhlich Sonnenbrillen ausprobieren während Rinaldo vor sich hin krepiert. So stehen die beiden ohne einen wirklichen Berührungspunkt in komplett fremden Welten nebeneinander und geben sich einer nichtmal ausgedehnten Projektion der Glückserfüllung hin.

Und was passiert mit den schönen lyrischen Arien im Rinaldo? Sie finden natürlich statt, zeigen einstweilen Menschen beim virtuosen Leiden (Rinaldo) oder andere gefangen in ihren Rollen, die zu groß für sie sind (Goffredo, Almirena—sogar “Lascia ch’io pianga” funktioniert in der Inszenierung einwandfrei) oder wieder andere, die aus einer eigentlichen Stärke sich in dem Luftgespinst der verirrt-konstruierten Liebe wiederfinden und letztlich daran zu Grunde gehen (Armida, Argante). Und was macht Mago da noch? Er bleibt ein Geheimagent der Zauberei, des Wissens, doch ist er eben skrupellos geworden. Wer will es ihm verübeln?

Achja, natürlich wird nebenher Jerusalem erobert. Aber so richtig zentral ist das nicht. Rinaldo konnte sich immerhin gerade so hinreichend beweisen, dass er nun Almirena bekommt. Von der hat er eigentlich nicht so viel: er zieht sich gleich wieder zum Leiden zurück. Argante ist hoffnungslos, weil halt verknallt und zu schwach für Armida. Armida, die wundervoll inszenierte Zauberin, schafft zwar sich zu befreien, trägt aber keinen Sieg mehr davon (so will es ja das Libretto). Man hat bestenfalls mit ihr am Ende Mitleid. Brillant war es gleich mehrfach, die Furien mit Kindern und Jugendlichen zu besetzen. Denn erstens konnte Goffredo so am Ende Kinderleichen zur Seite treten, als er von der Tugend sang, und zweitens waren die Scharen mit den Bögen bedrohlicher und grausamer, ursprünglicher und überzeugender als dies mit erwachsenen Statisten möglich gewesen wäre. So erleben wir am Ende eine psychologisch abgründige, unaufgelöste (weil unauflösbare), finstere Analyse, die der Rechtfertigung oder dem Schicksal wenig Spielraum lässt—und das ist gerade das Gute daran: die mit einem sadistischen Grinsen vorgetragene Auswegslosigkeit. Bravo, Tom Ryser und Heiko Voss für die Dramaturgie und Regie.

Die Besetzung ist gut und hat ebenfalls schöne Ideen. Eine sehr gute Aufführung, der ich das Unrecht ersparen muss, sie mit den jüngsten Eindrücken aus Basel zu vergleichen—das geht trotz der genial ausgedachten Inszenierung nicht. Xavier Sabata hat einen ganz wundervollen Rinaldo gesungen, klar und rund—und das merkt man interessanterweise vor allem in den Duetten (aber nicht bloß da). Sally Wilson gelingt eine von dominanter Attraktivität geradezu strotzende Armida, durchweg sexy und mit stimmlicher Macht. Und Christoph Waltle gibt den Goffredo so vorzüglich widerlich und dreckig, dass an dieser Abstoßung die ganze Drehung aufgehängt werden kann. Trotz Julia Jones vollem Einsatz gelingt es dem Freiburger Philharmonischen Orchester nicht immer, der im Wechselspiel mit den Sängern geforderten Dynamik Herr zu werden. Manche Momente bleiben so hinter der Dynamik verborgen oder verheddern sich kurzfristig und gelegentlich in fehlendem Zusammenspiel.

Alles in Allem, wie ich eingangs schon riet: Auf jeden Fall hingehen. Es lohnt sich sehr!

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