Freie Gedanken nebst Vorlesung und Möve

Es ist die vorerst letzte Vorlesung. Vor einem dreiviertel Jahr hab’ ich die erste gehalten. Höhen und Tiefen, mitsamt neuem Vertrauen in das Format, wenn (und nur wenn) man die Zeit investiert, mehr als eine sequentielle Form von Inhaltswiedergabe zu versuchen. Vernetzung ist im Monolog besonders schwierig, und wer bildet sich schon ernsthaft ein, Monologe Shakespear’schen Ausmaßes für jede einzelne Vorlesungssitzung zu ersinnen. Verschiedene Funktionen sind anders als in einem deutlich kleineren Seminar. Ich hatte immer einen dialogischen Stil präferiert. Das war nun weitestgehend unmöglich geworden. Unter anderem begann jede Sitzung mit einem Stück Lyrik. Mal was Großes, Bekanntes, mal was Altbacken-Humorvolles, mal was aus dem direkten Bekanntenkreis, mal aus beeindruckend-virtuoser Jugendhand. Das mag manchem am Rande, anderen zentral und wieder anderen gar nicht aufgefallen sein. Ich weiß nicht, welchen Einfluss so etwas auf die überregionale Qualität hat, auf den Transfer, den horizontalen, den vertikalen. Mir kam es so vor, als seien Spannungsbögen leichter zu halten. Etwas wenigstens. Und so ist mir die Methode (?) ein Instrument geworden, das entsprechend der Fanfare in klassisch-sinfonischer Struktur aus einem draußen stets tobenden Alltag entführen soll. Soweit jedenfalls die Intention. Zu seltenen Anlässen habe ich diese inhaltsorthogonale Form des Einstiegs auch zum Bild erhoben. Allein schon, weil zwei riesige Projektionsflächen (sic!) die zuvor vorbereiteten Inhalte zeigen. So habe ich einer jungen Gruppe an Hauptfachstudierenden, die mir im Jenaer Jahr besonders ans Herz gewachsen waren, diesen zum einen leicht modifizierten und zum anderen durch die Art der Perspektive auch umwundenen Impuls spendiert, wenngleich die Collage insbesondere zur Zeit des Semesterendes nicht eben kleine zeitliche Wochenendopfer erforderten.

Gekrönt (man könnte locker auch sagen: in den Schatten gestellt) wurde das durch eine Performance. Julia Wollmann hat auf so eindringliche und tiefe, gleichzeitig nie die Spontaneität verlierende Weise Tschechows “die Möve” gespielt, dass man sich davor auch im sonst eher rational orientierten Universitätskontext nicht bewahren konnte. Eine Sternstunde, welcher ich dankbar beiwohnen durfte. Etwas eröffnend, das über alle da gewesenen Dinge hinaus geht. Dies bleibt ohne Video und Publikation. Solche Dinge lassen sich nicht ohne einen Lastwagen an Technik ordentlich einfangen. Es sei denn, man war dabei. Dann hilft die Erinnerung zurück zu magischen Momenten an welchen es die immer mehr durch bürokratische Verfahren regulierte “moderne” Universität (es tut mir leid, ich darf (!) Sie nicht zur Prüfung anmelden, ich bin hier nur der Professurvertreter und komme in der Hinsicht noch nach dem Reinigungspersonal) zunehmend mangeln lässt. Ach, und da hab’ ich an den Schiller gedacht. Mit dem hat sich ja die Friedrich-Schiller-Universität zu Jena ganz besonders zu identifizieren versucht. Und der Schiller hat mir gut getan, hat mir mehr als ein Lächeln zugeschustert. Mich erinnert und mir auf zwar leichte Weise aber mahnend den Wink mit dem Stadtwald zuteil werden lassen: “Das Reich der Vernunft ist ein Reich der Freiheit und keine Knechtschaft ist schimpflicher, als die man auf diesem heiligen Boden erduldet.” Dies findet man auf hohem Transparenz gegenüber der Universitätsbibliothek angeschlagen.

Ich frage mich, was die Studierenden sich dazu denken, die jeden Tag daran vorbeilaufen. Ob sie sich davon wahlweise inspiriert oder gar verhöhnt fühlen? Ich vermag es nicht zu sagen.

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Datum: Donnerstag, 30. Juni 2011 11:52
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