Ob unsere Studiengebühren gerecht sind?

Wer etwas haben möchte, zumal eine Ressource, für sich privat in Anspruch nehmen möchte, der möge dafür bezahlen, zumindest seinen Beitrag dazu leisten. Im Sinne der Idee, dass Bildung eine Ressource sei, eine Ware, ein Rohstoff, der sich gewinnbringend einsetzen läßt und die Hochschulen ein Markt sind, erscheint dies vordergründig schnell plausibel. Hier sind Menschen zugange, die sich ausbilden lassen und deren Gehalt bei entsprechend gutem Abschneiden später einmal weit über dem Durchschnitt liegt. Volkswirtschaftlich, aber auch normativ-gesellschaftlich stellt sich die Frage, wer den Rahmen für die Gewinnung dieser Ressource stellt. Die Frage danach immer wieder erneut und vor dem Hintergrund jüngerer Entwicklungen zu stellen ist legitim. Während vor dem normativ-gesellschaftlichem Hintergrund heftig gezankt wird, wer für Bildung aufzukommen habe, während die Lösungen führender Wirtschaftsnationen dazu zu Rate gezogen werden, bleibt der volkswirtschaftliche Hintergrund der Öffentlichkeit verborgen, obschon er mit Sicherheit diskutiert wird. Im ersten Bereich, dem gesellschaftlich-normativen, gibt man sich der Vorstellung hin, dass im Allgemeinen weniger aufgewendet werden müsse, trage nur jeder Auszubildende, jeder Studierende einen Teil seines Päckchens selbst. Neben der Lebenshaltung sei dies ein Beitrag an den Kosten, die ein Studium verursacht. Es ist nur ein Bruchteil davon, aber es weckt Bedenken, ob es nicht dazu führt, dass der Cäsar wieder auf dem Acker verbliebe, zu deutsch: ob nicht junge, begabte Menschen mit kleinem Geldbeutel und noch weniger drin, sich nicht zum einen vom Studium abschrecken lassen und sich zum anderen vielleicht wirklich die Belastung nicht leisten können. Ein ausgebautes Stipendiensystem, wie es in den Vorlagenationen in guter Tradition vorhanden ist, existiert de facto bei uns noch nicht. Es wird auch einige Zeit dauern, bis so etwas sinnvoll eingerichtet ist. Ich habe in meinen Veranstaltungen Studierende, die für ihren Lebensunterhalt aufkommen müssen und solche, die das Glück haben, aus der Verwandtschaft heraus unterstützt zu werden. Lassen Sie mich Ihnen so deutlich, wie ich es nur vermag, sagen: Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man nun nach den Veranstaltungen in die Bar oder in das Restaurant arbeiten geht, um das Studium finanzieren zu können, oder ob man sich der Bibliothek widmen kann. Niemand, der jemals ernsthaft studiert hat, wird allen Ernstes und im Vollbesitz geistiger Kräfte etwas anderes behaupten können. Und ja, es gibt sie zu genüge, jene Leute, die durch das BaföG-Netz fallen, weil dies oder jenes nicht gegeben ist, weil sie die Unterstützung vielleicht einklagen könnten, weil sie vielleicht zu alt sind oder früher einmal einen autobiografischen Fehler begangen haben (Fehler nur im Sinne des Studiums). Aber gemessen an den Lebenshaltungskosten ist die geplante Zusatzbelastung eher gering. Gemessen an den real entstehenden Kosten für einen Studienplatz auch. Ich zitiere normalerweise keine Menschen, die groben Unfug verbreiten. Jeder hat von den sprichwörtlichen 10 Nachhilfestunden gehört, die eine Studierende dann eben pro Semester geben muss—eine Nachhilfestunde für 50 Euro wohlgemerkt. Wenn es die für dreißigtausend Studierende gibt, dann bewerbe ich mich auch um welche. Die 50 Euro pro Stunde nehme ich glatt mit, zumal noch ohne Vorbereitung. Fassen wir’s kurz, von Seiten der Politik ist für den Studierendenalltag zwar irgendwie Verständis, kaum aber ein ernst zu nehmendes Verstehen einzufordern. “Jeder muss halt den Gürtel enger schnallen”. Und so werden sich die Studierenden mit dieser Angelegenheit mit großer Sicherheit arrangieren können.

Das Beispiel mit den Nachhilfestunden ist ein mehrfach interessantes, weil die 500 Euro Studiengebühr zusätzlich irgendwo erwirtschaftet werden müssen. Natürlich nicht in Nachhilfestunden. Aber in den vielen denkbaren Gelegenheitsjobs, die Studierenden offen stehen. Diese werden über Nacht nicht mehr werden. Der Bedarf an ihnen wird über Nacht jedoch steigen. Egal, woher diese insgesamt große Summe kommt, es ist unwahrscheinlich, dass sie aus festen Reserven und Anlagen geschöpft wird—wir kommen damit auf den weniger farbigen Bereich zu sprechen, den volkswirtschaftlichen. Diese Summe wird aus den liquiden Beständen geholt. Ich bin kein Volkswirt—und ich weiß nicht so genau, warum die Damen und Herren zu Zeiten des Neuen Marktes nicht Sturm gelaufen sind—aber diese Liquidität, fehlt die nach dieser Verlagerung nicht irgendwo anders? Wird hier nun weniger konsumiert, weniger investiert? Oder woher holt man diese Bestände dann? Zur Erinnerung: Während des Aufblühens des Neuen Marktes hat eine erstaunlich große Anzahl von Menschen (darunter sehr viele inzwischen enttäuschte Kleinaktionäre) ersthaft geglaubt, nur weil es mehr Läden gibt (virtuelle z.B.), konsumierten die Menschen plötzlich mehr. Dass ein und dieselbe Menge Geld auch im virtuellen Leben nur ein einziges Mal ausgegeben werden kann, das schien vielen erst hinterher aufzufallen. Ich erinnere mich noch genau, als uns Unternehmensberater und Marketingmenschen wirklich glaubhaft machen wollten (mit Erfolg!), es würde auf diese Weise mehr Geld gemacht. In eine ähnliche Falle tritt vielleicht die ganze Diskussion um Studiengebühren. Das Geld wird an anderer Stelle fehlen, d.h. es wird sich eine neue Lücke auftun. Von einer Distanz betrachtet, ist’s also wieder die Gesellschaft, die in Bildung investiert. Nur wer diese Investition vornimmt—allein dieser Aspekt wird ein wenig verlagert. Ob das wiederum gerecht ist, bleibt immer noch zu klären. Wenn man sich erlaubt, für einen Augenblick gegenüber dem Bildungssystem zynisch zu sein, könnte man es auch so darstellen: Auch der übrige Schulweg läßt wenig Zweifel daran aufkommen, dass die Herkunft wesentlich (eigentlich fast ausschließlich) über schulische Laufbahnen und damit auch über die Einmündung in die Hochschule entscheidet. Dafür gibt es einen ganzen Katalog an Gründen, gut erforscht, vielleicht Thema eines weiteren Beitrags—dies läßt sich aber auch leicht recherchieren. Es gibt dazu gelegentlich Ausnahmen, aber die sind wirklich sehr selten. Also ist’s im Gesamtbild nicht weiter schlimm, da ohnehin nur die Nachkommen von Besserverdienenden studieren, die sich jene kleine Zusatzbelastung sicher leisten können, während die paar Ausreißer Randerscheinungen, Sonderfälle darstellen, die man schon irgendwie unterbekommt. So war das wohl nicht geplant, ist aber leider so; neben allem Zynismus in der Darstellung. Dazu kommt ein weiterer interessanter Aspekt: Es trifft Eltern, Familien also—und man muss nicht tief belesen sein, um zu verstehen, dass es ohnehin ein materielles Ungleichgewicht zu Ungunsten von Eltern gibt. Kinder sind teuer, Luxus fast—jetzt werden sie eben noch teurer. Wer kommt da nicht in die Verlegenheit den Sprößlingen das Studium vielleicht doch auszureden? Die Gesellschaft macht’s doch auch so. Warum soll man dann als Eltern die Ärzte und Ingieneure, die Mathematiker und Philosophen ausbilden, von denen die Kinderlosen ihrerseits profitieren? Eine Kultur, in der Bildung als solche ein Statussymbol ist, haben wir in Deutschland längst verloren. Durch ein paar einschlägige Gameshows bleibt noch die Allgemeinbildung als Frühabendunterhaltung. Also können wir das elterliche Verlangen nach Bildung und Ausbildung, wie wir es in Japan beispielsweise finden, hier so nicht annehmen. Das Auto ist weit mehr wert.

Dabei gibt es ja sogar andere Finanzierungssysteme (in den Niederladen, im für seine Bildung geliebten und bewunderten Finnland, in Schweden), die die Studierenden im Erfolgsfall später zur Kasse bitten. Die Studierenden selbst. Nicht während des Studiums. Nicht die Eltern. Ganz unabhängig vom Einkommen. Aber durchaus abhängig vom Studienerfolg—es wird bei entsprechend gutem Abschluss weniger zurückgezahlt. Etwas Vergleichbares gibt es im aktuellen BaföG-System: Wer in der Regelstudienzeit mit einem hervorragenden Abschluss abschneidet, bekommt vom rückzahlbaren Darlehen wieder die Hälfte erlassen, zahlt also nur ein Viertel zurück. Man kann auch hier über die Quelle im obigen Sinne immer noch volkswirtschaftlich spekulieren, es trifft aber im Sinne der angestrebten Diskussion diejenigen, die davon vordergründig profitieren.

Bleiben noch die Unternehmen, die von Ausbildungen profitieren, die zehn Jahre dauern. Bis zur Promotion. Dann im Labor Patente entwickeln. Für das Unternehmen versteht sich. Vormals lassen sich die Ausbildungen als Quasi-Subventionen im High-Tech Bereich vielleicht rechtfertigen. Unternehmen führen dafür hinreichend Steuern ab. Was aber, wenn die Ausbildung gar nicht von der Gesellschaft getragen wird, sondern zunehmend von Privatpersonen? Muss diese Subvention dann notgedrungenermaßen Teil der Einstellungsgespräche werden? “Was bringen Sie denn ein, Frau Mustermann, bevor wir Ihnen das erste Gehalt überwiesen haben?” Im Gegensatz zur klassischen Ausbildung, die die Betriebe zu einem beträchtlichen Teil selbst tragen—wozu sie ja unlängst sogar gezwungen werden sollen—bleibt die Hochschullehre frei von derartigen Verantwortungen. Tragen sollen sie hingegen Eltern und—auf Darlehensbasis, die Wissenträger selbst. Vielleicht mit einem bunten stundentischen Buttom am Revert: “Ich bin eine Subvention, die ich selbst getätigt habe.”
Wenn man schon so denkt (und Bildung jeden gesellschaftlichen Wert verliert; also lediglich durch ökonomische Interessen gerechtfertig wird), dann lohnt sich das Rechnen. Es gibt somit wenig Studiengänge (so die Kandidatinnen und Kandidaten denn rechnen können), die sich für Studierenden wirtschaftlich lohnen werden. Lieber mit einer Ausbildung starten, früher Geld verdienen (ist gleich insgesamt mehr Geld verdienen, auch wenn’s pro Monat zunächst weniger ist). Außerdem sind die Planungszeiträume kleiner, d.h. auch die Irrtumsrisiken geringer.

Was indes geschieht, wenn sich das Produkt als Fehlkauf herausstellt. Wenn die Ausbildung nicht hält, was sie verspricht (zu viel Hochglanz im Prospekt) oder wenn einstmalige Zukunftsprognosen über die Prosperität eines Faches sich in Luft auflösen, weil, naja, sagen wir mal, weil vielleicht Planwirtschaft doch nicht so gut funktioniert (schon dreimal nicht über Regelstudienzeiträume hinweg)? Weil die Börse morgen vielleicht andere Fonds hervorbringt? Gibt’s dann eine 30 Jahre Money-Back Garantie? Bei guten Produkten und im Nachhinein nachgewiesener Fehlerhaftigkeit kann so etwas doch nicht allein dem Risiko des Kunden überlassen werden. Da könnte ja jeder alles anbieten. Vor allem, wenn die Anbieter zum Verkaufszeitpunkt über die Risiken im Klaren sind—was sich ja unter Umständen direkt nachweisen ließe? Callcenter und 0190er Feedbackschleife?

Ob es sich bei der Ressource Bildung weitestgehend um einen definierbaren Privatbesitz mit allein privaten Vorteilen handelt, darf meines Erachtens diskutiert werden. In manchen Auseinandersetzungen mit diesem Thema entsteht der Eindruck, wir sprächen über einen riesigen Vergnügungspark ohne Sinn und Nutzen außer zum Ausleben persönlichen Vergnügens, das später irgendwie automatisch zur Bereicherung führt. Ich werde mich zusammenreißen, versprochen. Ich werde nicht der nächsten Ärztin, die soeben ihre zweitausendste unbezahlte Überstunde hergibt, um mir das Bein nach meinem Sportunfall wieder in die richtige Position zu rücken,ins Gesicht schreien: “Du Nutznießerin des alten Bildungssystems”. Irgendwie habe ich selbst einen Nutzen davon, dass sie Jahr um Jahr in dunklen Bibliotheken lange Listen von Pharmazeutika auswendig gelernt hat, dass sie danach für einen Hungerlohn als AIP und dann als Assistenzärztin gearbeitet hat. Dass sie in all dieser Zeit in ihrer kleinen Studenten-WG Pasta mit Soße aß, während ihre ehemaligen Klassenkameraden längst im eigenen Zweitwagen irgendwo an der Costa Smeralda unterwegs waren, während sich für diese der erste, zweite und dritte Bausparvertrag bereits dem eigenen Häuslein annähernd auszahlte, es sei denn natürlich, sie hätten den Wahnsinn besessen, Kinder zu bekommen—die dann vielleicht auch noch studieren wollen. Irgendwie, glaube ich, habe ich was davon, also jetzt mal so ganz persönlich und so, dass diese Frau diesen Weg gewählt hat, oder?

Vielleicht ergibt sich das Problem bei uns aufgrund des demografischen Wandels aber auch von selbst. In einigen wenigen Jahren werden die Hochschulen vermutlich um Studierende wetteifern. Dann werden auch die Hörsääle wieder leerer. Vielleicht denkt man zu diesem Zeitpunkt erneut über die Studiengebühren nach—oder über alternative Finanzierungssysteme.

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Datum: Dienstag, 27. Dezember 2005 20:49
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