Ob unsere Studiengebühren die Lehre verbessern?

Verbesserung von Lehre ist teuer und sie kostet Zeit. Es kursiert nach wie vor seit vielen Jahren eine alte Binsenweisheit, ein Aberglaube, der besagt: Stell’ nur doppelt so viele Lehrkräfte ein und die Lehre wird automatisch besser—eine Maßnahme (nebenbei bemerkt), die ca. 4200 Euro Studiengebühren pro Student oder Studentin pro Semester erfordern würde, vorausgesetzt, dieses Geld flösse auf direktem Weg und in vollem Unfang an die Seminare und Institute. Da wäre die Verwaltung noch nicht einmal mit drin. Nun ist’s nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Idee vom doppelten Lehrpersonal eine weit entfernte Wahrheit in sich trägt, jedoch in der Art der Forderung Unsinn ist. Will man Ausbildung verbessern, indem man Ausbildung vergisst? Vielleicht muss es heißen “doppelt so viele gut ausgebildete Lehrkräfte”. Aber die Idee “doppelt” gerät vor dem Hintergrund der Idee “Ausbildung” deutlich in den Hintergrund. Bislang haben wir Lehrkräfte an der Hochschule jedoch überhaupt gar nicht als Lehrende ausgebildet. Hochschullehrende sind also zunächst völlige Laien im Hinblick auf Lehre. Die benötigten Qualifikationen und Zugänge zu den entsprechenden Stellen unterschiedlicher Karrierestufen haben nach wie vor absolut nichts mit der Qualifikation in der Lehre zu tun. Jemand kann zufällig gut lehren oder eben nicht. Jemand hält sich für einen erstklassigen Hochschullehrer oder eben nicht. Entsprechende Bemühungen zur Ausbildung der Lehrenden sind verhältnismäßig jung und bereits nach kurzer Zeit erstaunlich vielversprechend. Sie haben als Zielgruppe—wenn auch nicht erklärterweise, dann aber doch in der akademischen Wirklichkeit—junge Lehrende. Ihnen (uns) winken Zertifikate, die in einer vagen (aber eben hinreichend vagen) Zukunft einen wertvollen Zusatz, vielleicht das “Zünglein an der Wage” bedeuten können. Etablierte Lehrende erreicht man damit kaum und wenn, dann nur informell—über die Berichte und Innovationsvorschläge ihrer jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Programme lassen sich im Internet einsehen und sind schon beim Themenüberblick hinreichend plausibel. Viele Seminare und Institute unterstützen inzwischen diese Weiterbildung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf diesem Wege zur Professionalisierung der Lehre beitragen. Also ist alle Antwort, hier vor allem die Antwort nach der Anlage der Studiengebühren, wieder nur in der Ausbildung zu finden—während man als Außenstehende vielleicht kopfschüttelnd dasteht, wenn man erfährt, dass bislang gar nicht ausgebildet wurde?

Kommen wir nochmal zurück auf das Eingangsargument, jenen Aberglauben, den wir bereits in die Ecke der Märchen verwiesen haben. Stellen wir uns einen Handwerkerbetrieb vor—meine Begeisterung für Menschen, die mit ihren Händen etwas anzufangen wissen und dabei eine Virtuosität an den Tag legen, die einen ins Staunen versetzen kann, ist unter meinen Freunden gut bekannt. Werfen wir den Blick in eine neue Schreinerei, die ausbildet. Junge Schreiner zum Beispiel. Die Meisterin steht voll Hingabe über einer, sagen wir mal: Fräsung. 482 Menschen, junge, auszubildende Schreinerinnen und Schreiner, sie blicken Ehrfurchtsvoll auf die Hand der Fachfrau (diese wird auf einer Großprojektion vergrößert). Sie machen sich Notizen. Sie lernen. Alles wird aufgezeichnet, so dass sich jeder alles später noch einmal aus drei Blickwinkeln ansehen kann. Nach drei Jahren sind sie alle Schreinerinnen und Schreiner. Gesellen zumindest. Nein? Gut, das Beispiel ist gemein, sogar polemisch und es hat auch Lücken. Dennoch gibt es Methoden, Kunstkniffe des Lehrens und Lernens, die nicht für jede Gruppengröße anwendbar sind. Leider sind das oft die guten “Zaubertricks”. Daher rührt der Aberglaube: “Doppelt so viele Lehrpersonen”—weil man sich danach sehnt, gute, effektive Lehre zu machen.

Und weil diese Sehnsucht bleibt, suchen wir nicht selten in neuen Technologien nach Auswegen. Auch hier stoßen wir bisweilen auf Glänzendes, weniges davon ist Gold. Viele gute Jahre lang—passend zum Auf- und Untergang des Neuen Marktes—ist an technologischer Funktionalität gebastelt worden. Einige der damaligen Startups existieren sogar noch und verkaufen gutgläubigen Kunden wahnwitzig überteuerte Produkte, die es längst (und wesentlich besser) kostenlos zu haben gibt. Gleich um die Ecke aus der Open Source Gemeinde. Um ein vielfaches leichter zu installieren, um ein vielfaches besser dokumentiert, um ein vielfaches leichter zu administrieren, mit schnelleren Updates und einem Support auf Foren und Listen, dass einem Hören und Sehen vergeht—mit ein wenig weniger Marketing, klar. Das reicht für manche Kunden oft schon aus, um fünf- oder sechsstellige Beträge für vergleichbare oder veraltete Software hinzublättern. Es hat über ein Jahrzehnt gedauert, bis man in der Anwendung gemerkt hat, das die reine technologische Funktionalität ohne Bezug zur Lehranwendung gar nicht weiterbringt. Die große Mehrzahl dereinst entwickelter Produkte verkümmern ungenutzt. Dazu kommt, das viele der als neu erdachten Erkenntnisse über Multimedia bereits erforscht waren. Es gab ausgesucht hochwertige Forschung über Hypertext, lange bevor das Internet überhaupt ein Massenmedium wurde, lange bevor man Hyptertext überhaupt mit Internet verband. Es gab zudem das Schulfernsehen, die Fernstudiengänge mitsamt ihrer Begleitforschung. Vor allem zum Einsatz und zur Gestaltung von Video sind in den 1970er Jahren große Forschungsprojekte gelaufen. Nur wenige haben sich an die didaktischen Besonderheiten wirklich gemischter, zusammengefügter Medien gewagt. Die Produktion und Erforschung des Notwendigsten ist inzwischen abgeschlossen. Jetzt darf man sich Gedanken über den Einsatz machen—wieder einmal. Und glauben Sie mir: Es ist nicht entscheidend für den Ausgang einer Veranstaltung, ob ein Forum nun blau oder orange ist, ob Sie nun einmal einen Chat durchführen oder nicht, so lange das nicht zu 100% in Ihr Lehrkonzept integriert ist—also für Teilnehmer mit direkt erkennbarem Mehrwert nutzbar ist und inhaltlich einen Sinn ergibt. Dass das sehr wohl möglich ist, sich aber nur mit zusätzlichem Aufwand gestalten lässt, zeigen Projekte, wie das F-MoLL Projekt und seine Vorgänger.

Information F-MoLL . Mobilität in Lehre und Lernen in Freiburg.

Man darf dabei jedoch feststellen, dass die Annahme, welche technologiebasierter Lehre einen finanziellen Vorteil versprach, schon vor Jahren begraben wurde. Auch die Wiederverwertbarkeit von Inhalten hat sich als nicht haltbar erwiesen. Zu eng verbunden sind Inhalt und Design, zu abhängig die Syntax und Semantik des Lehrens. Was auf reiner Informationsebene (etwa in XML) funktioniert, ist als Metapher nicht in die komplexen Domänen der Lehre zu übertragen. Es bleiben hier Ausnahmen bestehen—vor allem bei der Simulation teuerer Geräte. Wir haben auch herausgefunden (welch ein Wunder!), dass “der Einzelne” mit Software und Onlineangeboten nicht automatisch besser erreicht wird (häufiges Argument), nur weil er oder sie Zugang zu einem Angebot hat. Hier ist wesentlich mehr nötig, angefangen von der Betreuung, der Motivierung (schließlich muss nicht selten der Lernalltag umgestellt werden, was anfängliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann), der Organisation von Qualifikation, Sicherheit (bei Tests). Schließlich kommen von anderer Seite Studien, viele fühlten sich “verloren” in der digitalen Welt. Allein gelassen. Ähnliches gilt auch im Übrigen für die Lehrpersonen, obschon dies nicht so völlig absurde Züge annahm, wie die Austattung der Schulen anfang der 1990er Jahre mit ein paar Rechnern ohne Weiterbildungsangebot für Lehrer—zum Teil sogar ohne Software! Dennoch müssen auch Hochschullehrende in der Nutzung der neuen Technologien ausgebildet werden. Will man dies erreichen, ohne dass man nur schnell einen Rundgang durch die Funktionalität einer Software macht—was im Verhältnis ein einfaches Unterfangen ist—so wird das im Verhältnis zu den Anschaffungskosten von Rechnern und Software wieder teurer. Die Technologien sind aber nur von Menschenhand sinnvoll einsetzbar—ich weiß, das klingt völlig trivial, wurde aber zu oft vergessen, dass man’s nicht nochmal schreiben sollte.

Dabei wollten wir doch die großen Gruppen ausgleichen, den Einzelnen besser erreichen. Lehre mit 300 Menschen machen, die aber betreut werden, als seien sie in einer Gruppe zu zwölf. Wir wollte doch Expertise ausbilden, wie in der real existierenden Schreinerei, nicht wie in der oben polemisch konstruierten. Ist die Lösung der Probleme, namentlich: die Verbesserung der Lehre nun eine Aufstockung des Lehrpersonals? Eine Ausbildung des vorhandenen Personals? Die Invenstition in neue Technologien und in deren Bestückung durch sinnvoll eingebettete Inhalte (was immer das im Einzelfall wieder bedeutet)? Oder alles zusammen—ein geeigneter, ein guter Mix, irgendwie halt sinnvoll, also: bedeutsam eben, naja, irgendwie?!

Ja. Das alles geht. Wir wissen sogar wie! Das ist immerhin unser Beruf. Man kann an allen Ecken und Enden mit viel und mit wenig Ressourcen Veränderungen durchführen. Sollen diese Veränderungen drastisch merkbar sein—so etwa im Sinne einer Wahlkampfverwendbarenwirksamkeit—dann brauchen wir sehr viele Ressourcen. Im Kleinen tut’s schon wesentlich weniger. Ach, eine einzige zusätzliche Mitarbeiterin, ein Mitarbeiter, das wäre schon etwas. Sie sehen schon, wir landen allmählich aus den hypothetischen Höhen in einem Alltag, indem es inzwischen an allem knapper geworden ist. Jede Kleinigkeit hilft. Ernsthaft. Ich erinnere mich an frohe Kindertage, wo Menschen, ein Kamel (was für ein Ereignis!) im Schlepptau, für Tiere sammelten. Vielleicht können wir auch so etwas machen. Unsere Kamele wirken aber nicht so anziehend auf Kinder, leider. Vielleicht müssen wir daran auch noch etwas ändern—bevor die gut aussehenden Kamele völlig fachfremder Regionen (um jetzt nicht Religionen zu sagen) die ganze gemütliche Fußgängerzone vollgeäpfelt haben und bei den Passanten am Ende noch der Eindruck entsteht, die daraus emporsteigenden Gerüche seien die neue frische Landluft (und vielleicht sogar gesund)—um diese kleine Metapher einmal auf die Spitze zu treiben—nehmen Sie’s mit einem Lächeln, als kleinen satirischen Exkurs; das hilft uns auch immer.

Die Frage läßt sich, zum Greifen nah, fast schon beantworten: Jede Kleinigkeit hilft. Die Studentin, die gestern nichts zahlt (jedenfalls nicht offensichtlich) und heute etwas zahlt, will aber eine deutliche Änderung spüren. Sofort. Für sie ist es eher unsinnig, wenn durch ihr Geld morgen bessere Hochschullererinnen da sind (da ist sie nämlich nicht mehr da) oder irgendwann neue Infrastruktur entsteht. Cash and carry. Sie will heute mehr, sonst ist sie (zurecht) enttäuscht, wird ihr doch Bildung als Ware und die Hochschule als Markt verkauft—Humbold? Humbug. Was bleibt ist vielleicht ein “Hum-Burger” (Ich entschuldige mich vorbehaltslos schon im Vorhinein für den geschmacklosen Kalauer). Bitteschön? Geschnitten oder am Stück? Darf’s ein bisschen mehr sein? Allerdings wird’s so ohne Weiteres kein bisschen mehr sein. Weil jeder der angesprochenen Aspekte Zeit braucht. Vorbereitung. Eher in Jahren, denn in Wochen zu bemessen. Werden wir sie (die Studentin) dann bedienen, wie am Handyladen um die Ecke? So à la: okay, wir haben hier zwar kein einziges Gerät, das wirklich funktioniert, aber sieh’ mal, wir haben schönere Aufsteller als die Jungs und Mädels in ACME-Stadt? Ist das nicht irgendwie alles cool bei uns? So irgendwie halt jung und dynamisch? Drucken wir dann einfach ein paar Hochglanzbroschüren mehr? Stellen wir Sales-Personal ein? Ein Callcenter? Eine Study-Hotline? Wir werden ihr doch irgend etwas direkt bieten müssen, von einem Semester zum nächsten!

Aber all die Verbesserungsideen, all die ausführliche Forschung müssen doch jetzt auch endlich mal zu einer besseren Lehre führen. Ich kann Sie beruhigen. Da tut sich inzwischen viel, dank der unermüdlichen Hingabe von mir bewunderter Kolleginnen und Kollegen.

Aber zurück zu den Studiengebühren, die ein ganz anderes Thema sind. Wer jünger ist oder wem sich Fragezeichen aufdrängen, der schlage kurz unter dem Begriff Solidarpakt nach. Der läuft aus. Sozusagen zum genau geeigneten Zeitpunkt. Ich hab’s nicht gerechnet, aber ich vermute, die Studiengebühren werden dringend gebraucht, damit sich nichts zum Schlimmeren ändert. Da können wir in der Tat sehr froh drüber sein. Vermutlich wird die Studentin dafür aber wenig Verständnis haben. Sie gehört indes nicht nur zu einer weniger werdenden Art (auch die Hochschulen wird der demographische Wandel hart treffen), sondern wird sich sowohl als Wählerin als auch als Kundin betrogen fühlen. Als erstere trifft sie ihre Entscheidungen, wie man das kennt. Als letztere könnte sie sich dazu entscheiden, schlicht woanders hinzugehen. Ob das der Bildung der “Center Of Excellences” zuträglich ist, ist fraglich. Mit vorangegangenem Begriff (“Center of Excellence”) bezeichnet man in Deutschland neuerdings den Versuch, mit einem zwanzigstel des Etats entsprechenden und einschlägig bekannten ausländischen (meist US-amerikanischen) Hochschulen ebenbürtig zu werden. Sie sehen, wir haben noch viel vor uns!

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Datum: Dienstag, 20. Dezember 2005 19:29
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