Herbstgefasel

Da ist er, der Herbst, kerzengetauchte Stunden, wärmende Flüssigkeiten, die Augenblicke sind wieder zeitlos. Weil die Begegnungen langsamer werden, gleichzeitig aber länger andauern. Die Flüchtigkeit, die Unverbindlichkeit des Sommers neigt sich einem wohlverdienten Ende zu. Auch wenn Sommer und Sonne nicht eben Hand in Hand gingen. Dieses Jahr. Gut, konnten wir etwas arbeiten—beschweren kann man sich ja immer. Aber auch ein emsiger Sommer geht, wenn er auch kalt geworden ist, “aber es wird besser”—das erinnert man aus vergangenen Kinderbuchbegegnungen der schöneren Art. Herbst und Frühling sind meine Zeiten. Der Herbst noch mehr. Also teuerste, beste Jahreszeit. Zum Grübeln, zum Denken, zum Nachfühlen—dabei stets Hüter von Veränderung, von Wandel, während Sommer und Winter sich in Stillstand ertränken. Jetzt ist’s alles voller wundervoller Überraschungen. Aber “Hallo”, ich schenke der Welt doch die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Mag das nun ein Dilemma sein oder nicht. Die Lämmer werden’s verzeihen, die Raubtiere auch. Wege voll tigerhafter Eleganz. Da fallen die Lämmer, fallen tief und in dunkle Abgründe. Das hält in sich eine ganz eigene Ästhetik. Denkt traumtrunken daran, wenn ihr euch an dieserlei wagt. Dunkle Räume ziehen bei grauem Himmel an, erinnern sich an so manchen Tanz, an schweißdurchtränkte Nähe, jäh verloren. Armes Schaf. Aus der Ferne gedacht. Zeichnen ein Bild von Wahnsinn, von Macht und von Hingabe gleichermaßen. Warum nur? Weil’s ein Geschenk ist, das niemand missen würde. Fährte aufgenommen, unzähmbares Raubtier. Niemand wird versuchen, dich zu zähmen. Wie viele Menschen würden sich das wünschen, in sich gekehrt und ehrlich schatzgesucht? In unverbindlichen Phrasen finde ich gebetsmühlenartig die Gedanken, wer halt etwas wissen wolle, der solle eben fragen. Von Antworten hat niemand etwas gesagt. Schnell wird allen langweilig. Unverbindlich, unverletzlich, unattraktiv. Nebenwelt. Das sei andernorts noch als Sünde verschrieen. Böse, böse Dekadenz. Wunsch, nachgeben, Menschenskinder, honigbittersüßer Ebereschenlikör tropft von leicht gespaltenen Lippen. Verstehen war gestern. Die Raubtiere sind ausgebrochen aus dem Scheinsein, aus dem So-Tun-Als-Ob. Das Leben ist keine Bühne. Es hält nur eben so viele Bühnen parat, so dass man sich daraus verliert und am Ende glaubt, alles sei eins, ein Spiel. Wahrhaft verehrter Meister, wie du irrtest auf deiner Bühne. Das Leben ist weit mehr als das. Du hast erkannt, dass die unerreichbaren Dinge gerne Sünde getauft werden. Werden sie sodann erreibar, gibt es keine Notwendigkeit des Umtaufens mehr—wo Taufe gleich dreimal aus dem Haus gefallen ist. Das sind keine gefallenen Engel, jaja, das waren nie welche. Ergießen Schätze aus millionenfachem Glück, das überdies als verkommen gilt, indes aber eher vollkommen ist. Da atmen die Momente selbst, tief, unergründlich, verlockend, spielerisch, schwere traumtaumelverwandelte Vorhänge, die noch vor Masken liegen, die über und über und über tief verborgenes Dunkel überdecken. Ohne dass jemals die Frage entsteht, was darunter geduldig lauert. Entfaltet ist es höchste Erfüllung, verborgen ist es großer Reiz, vergessen ist es ein trauriges Echo. Inmitten Herbst. Kerzenbeleuchtete Kammern. Apfel und Zimt. Verwirrte Gedanken während des Aufwachens inmitten des Tages. Mein Tag, mein Tag, mein. Deiner auch?

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Datum: Donnerstag, 10. November 2005 11:22
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