Akte der Verzweiflung: Verdis Nabucco als Open Air Inszenierung in Basel

Gemüter aller Altersgruppen huschen aufgeregt durch die Ränge des St. Jakob Stadions. Ältere Menschen sind sich unsicher, gehen z.B. in voller Abendgardarobe ins Stadion, jüngere Menschen haben’s leichter genommen. Alle sichtlich bemüht, herauszufinden, wo nun genau dieses Spektakel zwischen den hier sonst üblichen Fangesängen und einer ernst zu nehmenden Inszenierung einzuordnen sei. Das Auge erspäht vage Mächtiges auf einem Rasen, der sonst im Sinne des Mottos steht: “Das Runde muss in das Eckige”. Heute soll hier das Runde zum Eckigen werden, eine Open Air Aufführung einer Oper, musicalkompatibel im Vorfeld aufwendig vermarktet. Quadratur des Kreises? Karten sind sehr teuer. Die Plätze sind zu dreiviertel belegt.

Zwischen 20.00 Uhr und 23.20 spielt sich eine Tragödie auf zweierlei Ebenen ab. Die eine, gewollte, ernst gemeinte, konfliktreiche von Verdi so italienisch plastisch in Klang verwandelt. Die andere ist eine Tragödie des Hier und Jetzt. Von über 1000 Mitwirkenden weiß die Eintrittskarte zu berichten. Rahmendaten, die eine eigene Sprache sprechen sollen. Hier geht es um Superlative. “Willkommen zur Weltpremiere von Verdis Oper Nabucco” spricht die bassig-sonore Stimme aus dem Nirgendwo, genauer: aus den Lautsprechern, die dem Zuschauer direkt vor die Nase gestellt sind. Gemeint ist zwar “Weltpremiere einer Inszenierung im Stadion”, klingt aber vermutlich nicht so gut. Einem auch sonst geneigten Opernbesucher wird sofort auffallen, dass das Orchester, wenngleich auf ein Podest erhoben, dennoch mit dem Rücken zum Publikum spielt. Das hat vielleicht tontechnische Gründe, mutmaßt meine Nachbarin wohlwollend, während sie noch mit sich ringt, Verständnis zu zeigen. Viel eher ist der Grund, der ja auch sonst zum bekannten “Orchestergraben” führt, dass der Dirigent sowohl Geschehen als auch seine lieben Musikerinnen und Musiker im Blickfeld haben muss. Die Rücken des Orchesters sind indes nicht die einzigen, die man während der Vorstellung zu sehen bekommt. Dem Team um Produzent Peter Kroone von Companions Opera Amsterdam gelingt es geschickt, die meisten zaghaften Ansätze einer szenischen Inszenierung durch ein massives Aufgebot an Rücken zu verdecken: An die 400 (ehrenamtliche) Statisten sollen helfen, den Raum zu füllen, den das Stadion für Brot und Spiele bereit hält. Die aufwendigen Kostüme sieht man erst am Ende von vorne. Während die Choreographie der Hundertschaften noch im ersten Akt leise Anzeichen von Handlungsbezug aufweist, verlieren sie im zweiten und dritten Akt vollständig an Koordination, stehen meist im Kreis um die Handlung herum. Nun ist es natürlich wahr, dass man als Normalsterblicher dem Olymp der großen Helden ebenso weit entfernt ist, wie es die lebenden, kämpfenden und sterbenden Heerscharen der Statisten und Komparsen sind (so konnte man das gestern in Basel erleben)—jedoch sollen uns die großen Handlungen doch zu uns selbst führen, in Auseinandersetzung mit den Helden. Und gerade hier tritt ein erstaunlich ungewollter Kontrapunkt der “einzigartigen Stadion-Inszenierung der Superlative” (so empfindet man dies auf der offiziellen Webseite) in das Erleben. Leider, ja, leider wollen die Helden in ihrer physischen Beschaffenheit nicht mit der Kulisse wachsen, so dass der Kern der Handlung visuell noch kleiner wird, als dies in den großen Opernhäusern ohnehin schon üblich ist. Durch die Größe des Kontextes wird das Eigentliche des Werks so klein, dass es vor dem Auge des Betrachters in einen Fingerhut passt. Dass es allen voran Rosa d’Imperio (als Abigaille) und Jacek Strauch (als Nabucco) dennoch gelingt, gegen all diese Umstände eine beachtliche Bühnenpräsenz zu zeigen, ist nur den Sängern allein zu verdanken. Deren Talente werden in diesem Zusammenhang derart verschwendet, dass man ihnen noch während der Aufführung wünscht, es möge wenigstens die Gage entsprechend hoch ausfallen.

Zwischen den Akten kündeten jeweils aus der Perspektive der Protagonisten zuvor aufgenommene Texte von im weiteren Lauf verborgenen oder versteckten Handlung. Eine gute und überdies schön umgesetzte Idee vor allem für all’ jene, die sich nicht im Vorfeld mit dem Inhalt auseinandersetzen konnten, für die die Oper vielleicht neu war. Interessanterweise waren es gerade diese Einführungen aus Handlungsperspektive, die wahrnehmbare Spannungsbögen hervorbringen konnten.

Die Baden-Baden Philharmonie sind ja nun im Raum keine Unbekannten, so oder so. Möglicherweise zeichnen sie unter dem Plastikdach des Podests künstlerische Nuancen, die der Nachwelt auf immer verborgen bleiben. Wir werden es nur nie erfahren. Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Die Technik hat fast das Maximum des Möglichen aus der Lage herausgeholt. So gut wird man selten Opernmusik in einem Stadion hören (es sei denn man setzt sich nun einen Köpfhörer auf). Vielleicht wäre eine klassisch gegenübergestellte Aufstellung zwischen Musikgeschehen und Publikum besser gewesen, jedenfalls hätte das die unterschiedlichen Schalllaufzeiten der Lautsprecher minimiert, wodurch man so manch’ fein gestrichene Achtel des Öfteren dreimal in Folge hörte. Es sei ihnen auch verziehen, dass sich im zweiten Akt ausgerechnet Jacek Strauchs Stimme gegen einen üblen Wackelkontakt wehren musste—für wenige Sekunden hörte man ihn zum Ausgleich dafür sogar tatsächlich singen (Am “Front of the House” Pult hätte ich da allerdings nicht gerne als Verantwortlicher gestanden). Alles Weitere verliert sich hinter den Grenzen des technisch Umsetzbaren. Und das war’s auch schon zur Musik. Sie verschwindet, ebenso wie die Menschen und die Handlungsimpulse, hinter dem starren Monument einer deutlich zu groß geratenen Kulisse. Hier kann einzig die visuelle Technik punkten, die mit Pyros und zum Teil interessanten Beleuchtungsideen einige “Ahhs” und “Oohs” dem Publikum zu entlocken weiß. In diesem Zusammenhang wäre es höchstens noch witzig gewesen, ein besonders zu Ehren gekommener Statist hätte zu Beginn der Veranstaltung einfach einen I-Pod in eine Konsole gestellt. Es kam aber anders: Kurz bevor Nabucco ob seiner Überheblichkeit vom göttlichen Blitz getroffen wird, röchelt die Anlage der Tontechnik Samples im Kreis herum, dass man Sorgen hat, die nächsten 400 Statisten kämen in Star-Wars Kostümen herein und Darth Vader würde höchstpersönlich den Blitz mit seinem Lichtschwert ausführen. Ein Donnergrollen schließt dieses Ereignis ab, das zum Glück fast ein Einzelfall bleibt. Dass die Musik an dieser Stelle daselbst höchst spannende und die Samples in ihrer Wirkung bei weitem übertreffende Affekte bedienen kann, wird dem Publikum an diesem Abend ebenfalls verborgen bleiben—die Samples sind einfach lauter als das Orchester. Die an einer Schnur herabgleitende Feuerkugel ist zwar nicht neu, aber immer wieder schön. Daher wird sie auch gleich am Ende des dritten Aktes nochmal zur Austreibung Baals (das ist der Gott, der halt jetzt böse ist) verwendet—eine Redundanz, die leider etwas inflationär wirkt. Hier gibt’s dann noch mehr Pyrotechnik unter der Statue und viel Rauch.

Etwas Schall und viel Rauch, so bleibt der schale Eindruck, der auch kulturell zumal bei einer derart monumental beabsichtigten Inszenierung zurückbleibt: Verdis Oper hätte man vor inzwischen leider salonfähigen Theorien (wie dem “Kampf der Kulturen”) auch im Rahmen einer Kostüminszenierung neuer und kritischer interpretieren dürfen. Vielleicht wollte man das aber auch ganz bewusst nicht tun. Zur Schau gestellt wurde jedoch lieber der materielle Aufwand, der in die Produktion geflossen ist. Dazu gehören die selbständig hoch und runter fahrenden Säulen (was dann aber auch nicht geklappt hat) und Licht und Pyros und vieles mehr. Darüber möchte man auch auf der Homepage viel lieber sprechen als über die Ideen zur Inszenierung. So sucht man dort ein etwa geneigtes Publikum “mit einer Tonanlage, welche mit 269’000 Watt den Vergleich mit anderen Openairs in Stadien nicht zu scheuen braucht” zu beeindrucken. Wenn’s doch für ein paar Watt weniger, ein wenig mehr mentaler Aufwand gewesen wäre. Es hätte sich vielleicht gelohnt!

Am Ende gab es eine Zugabe. Das geht schon in Ordnung, auch wenn man damit lieber nicht auf den schnell abebbenden Applaus aus dem Publikum warten wollte. Im Rahmen der Produktion inzwischen durchaus erwartbar, hat man den Sklavenchor wiederholt—der ist immerhin auf so manchem Opernsampler auf einer CD enthalten, den kennen die Leute. Dass es nun Reihen im Publikum gibt, die da im 3er Takt mitschunkeln, das will ich noch hinnehmen. Dass sich die Statisten dann aber geschlossen (und offenbar für eine solche Eventualität entsprechend präpariert) diesem Schunkeln anschließen, ist schlicht furchtbar. Nicht nur vor dem Hintergrund der Handlung. Auf diese Weise endete ein kläglich gescheiterter Versuch im Sumpf eines schlecht imitierten Karneval. Die großen Wägen, die noch auf dem Feld standen, trugen da ihr Übriges zu diesem Eindruck bei. Das nächste Mal, liebe Veranstalter, bitte, lasst Ihr Eure Statisten dann aber noch mit “Kamelle” (BonBons) werfen, okay?

Was nun tun? Geht Oper und atemberaubendes Spektakel etwa nicht zusammen? Doch, es geht. So bewies die wunderschöne Inszenierung von “Civil Wars” in Freiburg 2004 unter Karen Kamensek und mit dem Freiburger Philharmonischen Orchester—der Beispiele wären sicherlich mehr zu finden.

Erleichterung findet der gequälte Zuschauer am Ende dann auf der offiziellen Webseite. Dort nämlich steht das glückverkündende Versprechen: “Nie mehr wird das Publikum in Basel die Möglichkeit haben, Verdis fantastischen Meilenstein der Opernwelt in einer derart einzigartigen Stadion-Inszenierung der Superlative vor der Haustüre zu sehen.” Danke!

Die offizielle Webseite der Nabucco Produktion:
Link www.nabuccobasel.ch

Es geht auch anders: Civil Wars in Freiburg
Link Theater Pan.Optikum Civil Wars

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Datum: Freitag, 9. Juni 2006 14:39
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