Stummes Erz
Montag, 21. November 2011 10:56
Um den Moment gebracht. Weil Du der Moment warst. Und da waren wir uns nun so sicher. Niemand hatte je Größeres erlebt. Und eben das ist der Grund, warum gleichzeitig alle Größeres erleben. Nähe ist groß. Wir sind visuelle Tierchen, und Auditive. Aber das haben wir verlernt. Die Perspektive ist mächtig. Wir sollen sie zwar einnehmen aber auch übernehmen (wenn ich mich da mal nicht übernehme). Die Perspektive erfordert einen Standpunkt. Dabei will ich gerade alles andere als stehen. Jeder Stillstand scheint eine Verschwendung. Mich erschreckt manch neu entdeckter Trieb nach vorne. Weit nach vorne. Rennen. Hamsterrad oder Marathon, Glanz ohne Licht, Geschwindigkeit ohne Ziel. Letzeres ist weniger belastend als es klingt.
Ich blicke mich in den Übergangshallen um, sehe einen Möchtegern-Schiller nach dem nächsten. Wie sie sich wie die Pfauen in eine Zeit träumen, die ihnen, wären sie wirklich da, nicht als Angst und Schrecken einjagte. Weiter unten, die Straße entlang, ist der erste Treffpunkt der Welt, der Menschheit, der neuen Welt immerhin. Der neuen, alten, weil sie für die Alten alt ist und für die Jungen neu. Das ist kein Naturgesetz. Aber in dieser Stadt—Glockenschlag, ich kann Dich immer noch spüren—ist das eine Bahn. Somit dehnt sich der Anspruch um gleichzeitige Landgsamkeit und Geschwindigkeit, um die man allenorts mit Händen und Füßen ringt, mit Musik danach schreit, mit kleinen Performanzien sie zu beschwören sucht. Nur hier ist das kein Widerspruch. Es geht hier gleichzeitig. Und die Geschöpfe, Zwischen- nicht Mittenweltler sind hier so weit gestreut und kommen mir so üblich vor, wie sie normal nie sein werden. Und während ich in Gedanken hierhin zurück reise, soll das für mich bereits in mehrfacher Weise Vergangenheit sein. Ich bin kein Nostalgiker und auch kein Technokrat. Irgendwie komme ich mir vor, als sei ich als Mensch irgendwann, viel früher, einmal zwischen den Zeilen gelandet. Und ich finde keinen Weg zurück auf’s Lineal. Das macht den Glockenschlag bisweilen dröhnend, weil ich gleichzeitig eingeschlossen und ausgeschlossen bin. Wie die Glocke selbst, die zwischen Luft existiert und selbstverständlich, soll sie denn tönen, geschlagen wird. Was wäre auch so falsch daran, ein tönendes Erz zu sein? Es kommt mir kaum verwerflich vor, sich nicht für mehr halten zu müssen als etwas, das einen reinen Klang hervorbringt. An dieser Stelle bin ich genügsam. Und doch ist das Erz gerade stumm.
Thema: Staunen und Zweifeln | Kommentare (0) | Autor: Pablo Pirnay-Dummer