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Freiheit von Meinung. Begriffskonvergenz?

Mittwoch, 31. Dezember 2014 8:01

Die Meinungsfreiheit ist zweifelsohne ein hohes Gut, ein Recht vielleicht—man muss es vorsichtig sagen—das nicht nur gegeben wird, das man sich auch nehmen muss. In Assoziation der Meinungsbildung, das heißt, wo die Meinung her käme und wie sie sich konstituiert, ist sie Ausdruck einer Episteme und Verursacherin der Aufregung allerseits. Nachzulesen und nachzuweisen ist dies an völlig beliebiger Stelle, an der Foristen Exponate des Überrascht-Seins und der verzweifelt anmutenden Beihilfe zur Meinungsbildung hinterlassen. Da habe ich gelernt—und bezogen auf meinen Sprachraum: Menschen wollen unter anderem andere umbringen, foltern, ohne Recht belassen, gequält und für Unbeeinflussbares sanktioniert wissen. Es scheint, als seien die Widerstreiter solcher Ideen so rar, dass das Grübeln eine Sparflamme der Gleichgültigkeit bereit hält. Und könnten die nicht gar gestreut sein? Manches liest sich darin allzu strategisch, wenn auch zutiefst nachvollziehbar und zugleich auf verlorenem Posten.

Wer gegenüber der Annahme, der Souverän erfreue sich höchster Gesundheit eine wirkungsvolle Therapie sucht, soll sich einen Nachmittag lang auf einem Forum herum treiben. Egal auf welchem.

Was die Diskussion nicht bloß erschwert sondern gleich ganz verhindert, ist die verständliche Uneinigkeit über die Methode des Dafürhaltens, die Grundlage der alltäglichen Prämissenbildung, die sich nunmehr weder aus einem Werkzeugkasten des Dran-Glaubens noch aus einer Grundhaltung ableitet. Die impliziten Erkenntnistheorien passen natürlich nicht ineinander. Das müssen sie auch gar nicht. Eine Wissenschaft muss nicht zu einer archaisch-emergenten Empfindungsplausibilität passen und noch viel weniger zum dogmatisch-vorgeschriebenen Wahren. Im Versuch der Vereinigung verlieren alle Spielweisen der Intersubjektivität und entbehren bei aller verständlichen Konsenssuche ihre Kraft. Vereinbarkeitsesoteriken (Gottesneuron, digitale Demenz, Quantenökonomie, unter vielen anderen) und aus dieser Verzweiflung hervor gehende Abbildungsfunktionen von Halbwahrheiten auf Scheinprämissen lassen das Bild nicht eben in einem aufgeklärteren Licht erscheinen—wobei es der Aufklärung wohl wie Pluto geht: Längst kein Planet mehr. Der Umstand, dass das keinen wundert mag vielleicht noch zynisch sein. Dass es als Kultur etabliert ist wirkt dumm (daran merkt jemand wie ich zwischendurch auf schmerzvolle Weise, dass er alt wird). Aber es stimmt auch nachdenklich, da leider nichts Unverstehbares an seine Seite tritt. Das Unverstehbare würde mich lediglich bedrohen, und diesen Generationenkonflikt würde ich begrüßen. Was mich irritiert ist leider, wie gut alles zu verstehen ist—ohne dass sich daraus auch nur etwas im Ansatz Verständnisvolles daraus ableiten ließe. Ich kann mich darüber hinaus einfach nicht damit abfinden, dass wohlinformierte Dummheit nun etwas sein soll, das irgendwie cool sein kann. Das geht einfach nicht in Ordnung. Ebensowenig, wie intentionale Uniformiertheit: Solange ich mich mit den Daten nicht auseinandersetze, muss ich meine Welt nicht umdenken.

Über alles andere—und es ist vor genanntem Hintergrund schon fast erstaunlich, dass es dies trotz allem noch so reichhaltig gibt—freue ich mich maßlos. Wenngleich ich die Basiraten mit großer Sicherheit überschätze—da mir der Elfenbeinturm einstweilig zur erweiterten Raumpflege überlassen wurde, Mondenkind! Und zwar ist diese sicherlich naiv anmutende Freude ganz unabhängig davon, ob ich nun inhaltlich zustimme oder nicht. Denn darin meine ich eine herzliche Aggression, eine liebevolle Abwendung, eine jugendgegebene Zerstörungswut zu erkennen, die vor allem deshalb so positiv wirkt, weil sie sich gegen das Starke wendet statt gegen das Schwache.

Darin gibt es also eine Meinungsfreiheit, die sich daraus ableitet, dass eine Meinung unter freien Umständen entstehen kann, sich selbst nicht dadurch, dass sie entstünde ad Absurdum führe—und öffentlich verfasst werden darf. Dem gegenüber steht eine große, verzeiht, “Lauthals kreischend-schweigende Mehrheit” wobei einhergehend Meinungsfreiheit vermeintlich die Abwesenheit von Meinung (zum Beispiel von informierter) beschreibt und sich wahlweise im unfokussierten Wutausbruch manifestiert (erstmal irgendwie irgendwas kaputt machen, weil ist ja bestimmt doof oder so, zum Beispiel: “Ich hasse Umweltverschmutzung, schlechte Straßen und hohe Benzinpreise, kann sich ja alles keiner mehr leisten.”) oder zum Schutz vor einer Auseinandersetzung wird (im großen und ganzen ist doch sicher alles in Ordnung, muss ich mich nicht wirklich auch noch drum kümmern).

Thema: Politik und Gesellschaft, Staunen und Zweifeln | Kommentare (0) | Autor:

Arminio in Halle: Zeuge der Verletzlichkeit

Dienstag, 10. Juni 2014 12:35

Der Arminio in Halle. Bei den Händelfestspielen.

Festspielorchester und Ensemble ingesamt berauschend, vielfältig, machtvoll. Allem voran die wunderschönen Stimmen, allesamt. Unbedingt hin!

Die Inszenzierung ist mir erstmal nicht gefällig. Sie startet zunächst beinahe platt vor gemalter Mauer und vor gemaltem Einsturz derselben. Ergießt sich dann aber in einer Parabel. In einer Innenschau der Oper (auch wörtlich, denn durch das Bühnenbild suggeriert, sitzen wir bald hinter der Bühne, werden Bündnispartner der Kunst, der Künstler und des ganzen Geschehens). Wir sehen die Verletzlichkeit der Kultur. Wir, Publikum, stehen ja plötzlich hinter der Bühne, hinter dem Geschehen und sehen immer wieder, dass der Vorhang fällt. Ein Teil der Handlung ereignet sich im Enthoben-Verborgenen. All jene Dinge, die sich dem Geschichtsverständnis enziehen (immanent) und all jene, die sich den Härten des Kunstbetriebs widmen (aktuell). Und bis zum Schluss kämpfen sie alle für eine Tugend der Bewegung. Immer angegangen vom Formalen. Nichts ist grimmiger als dieser unaufhaltsame Tod, ein Lustmolch und Voyeur gleichzeitig, der ohne Stimme kommt, der immer da ist. Der sich aufgeilen will, aber nichts gibt. Und der sogar die Handlung unterbrechen kann. Niemand sonst kann das. Und in seinem verlängerten Arm, gibt er Regie noch an, wenn er doch eigentlich längst verjagt wurde, wenn der Vorhang – auch unser hinterer – längst gefallen ist. Auf der Bühne hat die Tugend freilich gesiegt. Hinter der Bühne noch längst nicht. Aber wir lernen auch: Die Bücher können hier in der Oper (im Theater) dem Feuer  wieder entnommen werden, dem sie einst so unachtsam übergeben wurden. Was für ein Hoffnungsschimmer vor welch schöner Darbietung.

Thema: Musik, Rezensionen | Kommentare (0) | Autor: