Wenn Freunde bloggen

Ein schmaler Tisch, gedeckt durch eine transparente Platte, vermutlich Glas, fällt mir auf. Direkt vor einem Kühlschrank. Unter der Platte ist ein uralter Monitor in Graustufen. Flimmert. Garantiert nicht Strahlungsarm. Früher saßen wir tagelang vor sowas. Heute macht uns das nach fünf Minuten schon Kopfschmerzen. Auf dem Bildschirm sehen wir einen einfachen Texteditor. Man soll hier etwas reinschreiben. Was, ist egal. Also schreibe ich, egal was, es soll etwas Verwirrendes sein, gleichzeitig was zum Nachdenken und freuen—oder eben was zum Kopfschütteln und weggehen. Es ist eine winzig kleine Wohnung. Darin wohnen zwei gute Freunde. Allesamt Spinner, natürlich, soviel ist klar. Auch wenn sie gelegentlich einen anderen Anschein erwecken. Die Wohnung liegt über den Arbeitsstätten mehrerer jung gebliebener Frauen, die allabendlich graue Herren in grauen, großen, teuren Autos erwarten. Die Partygäste kommen mit dem Fahhrad oder zu Fuß. Studentisch ist’s im Dachgeschoss. Von unten hört man nichts. Vermutlich hat das mit den grauen Herren zu tun. Der Tisch, auf dem eine Tastatur zum Schreiben liegt, trägt den Namen “Optotable“, und man kann sich vorstellen, welche mentalen und gleichsam physischen Zustände es benötigt, um einem solch stylisch improvisierten Getross einen derartigen Namen zu verpassen. Die Party ist noch nicht einmal richtig in Gang, schon ist es eng. Das ist, glauben Sie es mir ruhig, einer der großen Vorteile der Veranstaltungen der beiden: Für sehr viel Existenz gibt es im Gegenzug sehr wenig Raum. Genau so wie auf dem, ich weiß nicht, 8-Zoll Display(?), des Röhrenmonitors meine Buchstaben unterzubringen gedenke, während ich umständlich versuche, meine Ellenbogen nicht in den inneren Organen meiner Nachbarin zu vergraben, genau auf die gleiche Weise bewegt sich eine mehr und mehr erhitzte Masse junger und jung gebliebener Menschen durch die wenigen, winzigen Räume. Glücklicherweise sind die sozusagen als Ureinwohner zu bezeichnenden Mieter des Wohnraums an Körpergröße und an entsprechend horizontaler Ausweitung nicht eben Riesen, so dass ihnen dieses Problem im Alltag vermutlich weit weniger Engräume verschafft. Die Masse die sich da bewegt ist bei weitem nicht grau. Bunte Menschen, die bunten Fahrrädern entsprangen. In der Luft liegt ein wenig Alkohol, Schweiß, gelegentlich ein Osmorakt wundergetränkter Parfümierung, so manch halb- und ganzwissenschaftliches Gespräch, dort ein paar gängige Lästereien, hier und da eine Verlegenheit, hier und da eine Gelegenheit. Den Optotable erreiche ich schon lange nicht mehr. Ursprünglich hatte ich mir ja mal vorgenommen, da an dem Abend noch mehr hineinzuschreiben. Ach, was, muss ich eben mal so zu Besuch kommen.

Wenn’s mir dafür allerdings nicht reicht, dann kann ich die Internetvariante des Optotables begehen. Diese Internetversion hat ein Blog, ganz neu, ganz frisch. Der nennt sich Jamasilog, was sich jetzt, gemessen an dem Wort Optotable weniger kreativ, aus jeweils den Anfangsbuchstaben der mit der kleinen WG am ehesten verbundenen Menschen zusammensetzt. Jan, Martin, Simon, ergibt Jamasi. Muss nur noch um den Zusatz “log” erweitert werden. Zugegeben, das klingt wie eine Südseeinsel, ist’s aber nicht. Muss auch gar nicht. Warum? Weil sich dort genau die Art Wahnsinn breit macht, die zu einer mehr oder weniger gesunden Auseinandersetzung mit der Welt dazugehört.

Was auch dazugehört, ist, dass man darauf aufmerksam macht. Und das möchte ich hier gerne in hinreichend großer Lautstärke tun.

Sehen Sie da mal rein—und verlieren Sie sich darin bitte nach Möglichkeit, ja?
Link http://www.optotable.de/jamasilog/

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Datum: Mittwoch, 7. Dezember 2005 13:43
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