Seilerhaus

Es wird einen Wettbewerb geben im alten Seilerhaus. Wo die Seiler sind, kann ich nicht feststellen. Warum es das Seilerhaus noch gibt, weiß ich auch nicht. Es ist eine Reihe differenziertes Völkchen anwesend und die Luft sieht milchig, gelblich aus. Ich höre dunkle, dumpfe, schwere Klänge. Halb wie Maschinen dröhnen sie, aber sie gehören auch zur Umgebungsmusik. Jede Umgebung hat eine Musik. Ein paar der Anwesenden machen sich mit allerlei bedrohlich aussehendem Gerät auf den Weg in ein Zimmer auf eine SM-Party. Ich folge ihnen nicht, neugierig wäre ich fast gewesen. Das Haus hat fünf verwinkelte, alte Stockwerke. Ich sehe Freunde von ihr, sie selbst ist gerade nicht da. Die Freunde sind seltsame Geister, gefangen zwischen allerlei seltsamen Ideen und Projekten, Handgreiflichkeiten auch. Und sie verachten mich irgendwie während ich das Gefühl habe, sie könnten vielleicht Recht damit haben. Es liegt insgesamt hinreichend Aggression in der Luft. Aus einem Zimmer höre ich ein paar recht verzweifelte Schreie. Ob die einst wussten, worauf sie sich einließen?

Der Wettbewerb beginnt. Es ist ein Wettrennen, und es geht um die Wurst. Im wörtlichen Sinne. Es geht genau genommen darum, welche der beiden Gruppierungen am nahenden Tag auf der Leichathletik-Strecke die Würstchen verkaufen muss. Vierhundert Meter Hürden, nicht mein Ding. Ein Würstchen wird 301 Rupien kosten. Warum wir in Freiburg plötzlich in dieser entfernten Währung bezahlen, weiß ich nicht. Da das Würstchen 2 Euro im Einkauf kostet, sieht das nach einem klaren Verlust aus. Das Würstchen ist aber subventioniert. Um nun zu entscheiden, wer verkaufen muss, wird es ebenfalls einen Wettbewerb geben. Und wie es der Zufall will, muss ich einspringe, für Kalle, der kam nicht.

Mir hängen links und rechts zwei schwere Maissäcke von den Schultern. Die muss ich von ganz unten nach ganz oben schleppen. Die sportliche Dame lacht schon als sie mich damit ausstattet. Ich schleppe mich und die Säcke in den Fünften. Die Treppen sind feucht und glitschig. Das kommt von den Überresten des Käses, den man braucht um die Seile zu schmieren. Überall ist dieser Käse. Er ist aus dem Holz nicht mehr herauszubekommen. Oben angekommen, werde ich endlich diese schweren Säcke los. Nun muss ich Flaschen stapeln. Immer eine Weinflasche neben eine Sirupflasche. Eine ganze Mauer muss ich bauen, weil das bei den Seilern so Tradition ist heute. Unter dem Dach ist es heiß. Dann muss ich die alten Holzspäne noch in den Keller bringen. Das fällt mir am leichtesten—weil sie trocken sind, sind sie auch leicht—und mich packt ein wenig der Mut, als ich leichtfüßig die Treppen heruntergleite. Und ich war gar nicht so schlecht. Aber es hat nicht gereicht. 3 Minuten und 39 Sekunden. Das war meine Zeit. Meine schlanke Gegnerin hat es in 3 Minuten und 36 Sekunden geschafft. Das seien 3 Sekunden zu ihren Gunsten, rechnet sie mir vor. Ohne einen Ausdruck der Freude, aber irgendwie siegessicher. Als sei’s vorherbestimmt. Und sie hat mit ihrer Arithmetik auf jeden Fall recht.

Ich gehe in den dritten Stock, weil da eine Art Gemeinschaftsraum ist und sehe, dass die genannte Party eine Pause macht. Ein Drittel der sichtbar anwesenden sieht in jeder Hinsicht ziemlich gebeutelt aus. Die Anderen grinsen und trinken etwas. Hinter den Augen offenbar schon die Pläne für weitere kunstvolle Grausamkeiten. Bald verschwinden sie alle wieder: Wir haben ja jetzt alle die Trophäen gesehen. Ich weiß nicht, ob ich mich vorbereiten muss für den Verkauf in ein paar wenigen Stunden. So schwer kann es nicht sein. Ich verwerfe den Gedanken an das Wettrennen—und an das Wettrennen auch. Kurz sehe ich sie vorbeischlendern. Sie lacht und winkt mir zu, zieht einen ihrer Freunde in ein Zimmer. Ich erlaube mir dazu ein Lachen. Armer und glücklicher Kerl.

Ich möchte jetzt dem Seiler zur Hand gehen. Ein paar Knoten in die großen, schweren Seile knüpfen. So muss er sie später abliefern. Die Seile finde ich. Sie riechen noch nach Käse, so frisch sind sie. Aber der Seiler ist woanders und ohne seinen gelehrten Blick werden mir die Knoten misslingen. Also beschließe ich, das Seilerhaus weiter zu erkunden bis der Seiler wieder auftaucht oder etwas ganz anderes geschieht.

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Datum: Montag, 2. August 2010 16:47
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